Ein Kuss

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Drei Außenseiter treffen in einer norditalienischen Schule aufeinander: der schwule Lorenzo, der kontaktscheue Sportler Antonio und die flippige Blu, die ihren Ruf als Schulschlampe nur schwer wieder los wird. Gemeinsam versuchen sie, den Demütigungen ihrer Umwelt zu trotzen – bis Gefühle ins Spiel kommen, die für einige Turbulenzen sorgen. Die mal heitere, mal melancholische Coming-of-Age-Tragikomödie punktet mit eingängiger Musik und farbenfroher Visualität. Hinzu kommen exzellent besetzte Darsteller, die den Film über jugendliches Verlangen und emotionale Konfusion, unbedingt sehenswert machen.

Webseite: www.pro-fun.de

Italien 2016
Regie & Drehbuch: Ivan Cotroneo
Darsteller: Rimau Grillo Ritzberger, Valentina Romani, Leonardo Pazzagli, Susy Laude, Sergio Romano
Länge: 108 Minuten
Verleih: Pro-Fun Media
Kinostart: 12. Januar 2017

FILMKRITIK:

In einem Provinzgymnasium in Norditalien führt das Schicksal Lorenzo (Rimau Grillo Ritzberger), Blu (Valentina Romani) und Antonio (Leonardo Pazzagli) zusammen. Die Drei haben etwas gemeinsam: sie sind Außenseiter, die sich dem Hohn und Spott ihrer Umwelt ausgesetzt sehen. Antonio ist zwar der beste Basketballer der Schule, außerhalb des Spielfelds aber nimmt ihn keiner ernst. Die temperamentvolle Blu gilt in der Schule als Schlampe, als herauskommt, dass sie mit vier Jungs gleichzeitig Sex hatte. Und Paradiesvogel Lorenzo steht ganz offen zu seiner Homosexualität,  spürt die Homophobie seiner Umwelt aber tagtäglich. Allmählich freunden sich die drei Außenseiter an und geben sich gegenseitig Halt. Doch als sich Lorenzo und Antonio eines Tages näher kommen, ändert dies alles.

Der italienische Filmemacher Ivan Cotroneo vereint in seinem neuen Film die Themen Alltagsmobbing, jugendliches Verlangen und Selbstverwirklichung. Er verfilmt damit seinen eigenen Roman, der 2010 erschien. Nach „Kryptonite“ (2011) ist dies Cotroneos zweite Regiearbeit. Zuvor war er lange als Drehbuchautor fürs italienische TV und Kino tätig, als Buchautor arbeitet er nach wie vor nebenbei. „Der Kuss“ wurde auf vielen internationalen Festivals gezeigt, u.a. den italienischen Filmfesten in Madrid oder auch Los Angeles.

Regisseur Cotroneo nähert sich seinen jugendlichen Figuren vorsichtig und mit Bedacht, nimmt ihre Ängste und Sorgen zudem jederzeit ernst. Die Probleme der drei Protagonisten stehen stellvertretend für jene Sorgen, mit denen sich fast jeder Teenager in seinem Leben einmal konfrontiert sieht: Ausgrenzung, Einsamkeit, unerwiderte Gefühle sowie der Kampf gegen Gerüchte und Vorurteile. Die Drei eignen sich perfekt als Identifikationsfiguren, stehen sie doch – jeder für sich – hauptsächlich und stellvertretend für eine dieser Probleme. Und: sie werden von den jungen Darstellern mit leidenschaftlicher Hingabe und großem Respekt vor ihren Rollen, verkörpert.

Vor allem Rimau Grillo Ritzberger als eine Art norditalienischer, jugendlicher Boy George – ein schriller, exotischer Paradiesvogel mit knallig-gelben Kopfhörern und lackierten Fingernägeln – vermag zu überzeugen. Lorenzo zieht sich schnell den Unmut seiner intoleranten Umgebung zu. Und das nur, weil er sich gibt wie er ist und gar nicht einsieht, sich zu verstecken und sich der gesellschaftlichen Norm anzupassen. Um die Demütigungen besser zu ertragen, flüchtet er sich in farbenfrohe, ausgelassene Tagträume, in denen er von allen verehrt wird.

In diesen Szenen – den extravaganten Traum-Sequenzen – tobt sich Regisseur Cotroneo visuell aus und sorgt so für eine der großen Stärken des Films: seine verspielte Bildsprache und Optik, die mit skurrilen, witzig-sympathischen Einfällen überzeugt. Gleich zu Beginn tanzt Lorenzo in einem seiner Träume wild und wie von der Tarantel gestochen vor der Schule. Aus seinem T-Shirt steigen unzählige Schmetterlinge empor, der Boden ist übersät von bunten Quadraten und alle Schüler jubeln ihm zu. Im untermalenden Song dazu heiß es passend: „You’re such a freak“. Diese Momente zeugen von visueller Kreativität, großem Einfallsreichtum und begegnen einem in „Ein Kuss“ immer wieder. Etwa dann, wenn beim Chatten bunte Fenster den Kommunikations-Verlauf anzeigen oder die drei Außenseiter später im Film in einer Art bizarren Nachrichtensendung, ihre Umwelt und Mitmenschen genüsslich aufs Korn nehmen – inklusiver jener verspielter, augenzwinkernder optischer Elemente.

In einer Szene spricht Lorenzos Adoptivvater mit dessen Lehrerin und bringt auf den Punkt, worin oftmals das Hauptproblem der Gesellschaft mit „Exoten“ wie Lorenzo, besteht: der Junge solle nicht toleriert sondern akzeptiert werden, fordert er. Ernste, nachdenkliche Situationen und Szenen dieser Art gibt es im Film immer wieder, dennoch überwiegen positive Stimmung, Energie und Lebenslust. Dies ist nicht zuletzt den abwechslungsreichen, schmissigen 70er- und 80er-Sounds und Pop-Klassikern von Künstlern wie Blondie, New Order oder Billy Idol, zu verdanken.

Björn Schneider