Ein Tag wie kein anderer

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Krebs und Tod gehören kaum zu den klassischen Komödien-Stoffen. Dabei ist Humor allemal ein taugliches Mittel, mit tragischen Themen umzugehen. Wie gut das gelingen kann, zeigt der israelische Jungfilmer Asaph Polonsky. Ein Ehepaar hat den erwachsenen Sohn verloren. Während die Mutter die Trauer mit hastiger Rückkehr zur Normalität bewältigen will, geht der Vater einen anderen Weg. Er hat die Cannabis-Vorräte des Verstorbenen entdeckt, womit sich dem notorischen Griesgram ganz neue Welten öffnen. Stimmige Figuren, starke Schauspieler sowie ein gutes Händchen für Situationskomik machen aus dem bitteren Stoff eine bewegende Tragikomödie der gelungenen Art.

Webseite: www.temperclayfilm.de

Israel 2016
Regie: Asaph Polonsky
Darsteller: Shai Avivi, Evgenia Dodina, Tomer Kapon, Sharon Alexander, Uri Gavriel
Filmlänge: 98 Minuten
Verleih: temperclayfilm
Kinostart: 11.5.2017

AUSZEICHNUNGEN:

Jerusalem International Filmfestival 2016: Bester Spielfilm, Beste Regie, Bestes Drehbuch
Oldenburg International Filmfestival 2016: Bester Schauspiel-Cast
Cannes Filmfestival 2016 Caméra d’Or (nominiert)

FILMKRITIK:

„Wann wirkt das jetzt endlich?“ raunzt Eyal den Nachbarsjungen an, der so freundlich war, ihm den ersten Joint seines Lebens zu drehen. Wer Sorgen hat, hat auch Likör. Weil Eyal besonders große Sorgen hat, hofft er auf die beruhigende Wirkung von Cannabis. Der Stoff ist Premium-Qualität. Sein Sohn bekam es als Schmerzmittel von den Ärzten im Hospiz. Nachdem der 25-Jährige dem Krebsleiden erlegen, findet der Vater durch Zufall dessen Marihuana-Vorrat. Für ihn der Strohhalm, seinen großen Schmerz ein wenig erträglich zu machen.   
 
Vor dem erhofften Rausch sind jedoch einige Hürden zu nehmen. Erst will ein missmutiger Taxi-Fahrer ihm das Gras streitig machen. Dann schließt der Tabak-Laden, bevor die dringend nötigen Zigaretten-Papierchen besorgt sind. Und schließlich scheitert der Alte kläglich daran, sich das Tütchen zu drehen. Die einzige Hoffnung wäre Zooler, der Sohn der Nachbarn – mit denen liegt die Familie freilich schon länger im Streit. Der Wille zum Kiffen versetzt die Berge von Stolz. Unter einem Vorwand wird Zooler ins Haus gelockt. Der reagiert prompt begeistert. Weniger erfreut ist die Dame des Hauses, als sie die beiden beim Rauchen erwischt. Der Gatte indes bleibt stur: „Das haben wir geerbt!“, begründet er den Griff zum Gras des verstorbenen Sohnes.
 
Mit rigoroser Rückkehr zur Routine versucht die Mutter, die traumatischen Geschehnisse zu verarbeiten, „Es soll wieder normal werden“, sagt sie. Die Abgeklärtheit scheint freilich nur oberflächlich. Kiffen kommt da viel wirkungsvoller an, zumal der junge Nachbar den alten Griesgram mit seiner Fröhlichkeit erfolgreich auf andere Gedanken bringt. Er begeistert ihn für Luftgitarre. Sogar beim Spiel einer pantomimischen Operation macht er mit, bei der ein kleines Mädchen im Hospiz zum Lachen gebracht wird. Von der wunderbaren Freundschaft des ungleichen Duos sind nicht alle begeistert „Kannst du aufhören, mit meinem Sohn herumzuhängen!“, meckert der Nachbar, mit dem seit langem nicht mehr gut Kirschen essen ist.
 
Der alte Kauz und der junge Freak, diese Mischung sorgen für reichlich Konfliktpotenzial und nicht minder viele Möglichkeiten für lakonische Situationskomik. „Die Vermischung des Traumatischen mit dem Absurden“, beschreibt Regisseur Asaph Polonsky sein Ziel, wobei er sich auf überzeugende Darsteller verlassen kann. Allen voran Shai Avivi (einer der erfolgreichsten Kabarettisten Israels), der den störrischen Griesgram derart feinfühlig gibt, dass die anfängliche Antipathie sich alsbald in verständnisvolles Mitgefühl verwandelt. Besonders eindrucksvoll gelingt das bei einer Schlüsselszene am Friedhof. Weil er eine Frist versäumt hat, wurde das Grab neben dem Sohn nicht wie geplant für die Eltern reserviert, sondern an andere Leute vergeben. Der tobenden Eyal reißt cholerisch das neue Namensschild aus der Erde. Zufällig wird er Zeuge der bewegenden Grabrede für die fremde Verstorbene. Damit tauchen plötzlich all die Erinnerungen an die eigene, verdrängte Trauer auf. Eine Montage mit geschnittener Rückblende visualisiert raffiniert den emotionalen Schock, den der Tod des Sohnes ausgelöst hat. Wiederum gelingt die heikle Balance der Gefühle perfekt, dem großen Schmerz dieser Sequenz folgt sofort eine komische Szene als Ausgleich. So wird aus dem bitteren Stoff über Krebs und Tod eine bewegende Tragikomödie der gelungenen Art. Humor erweist sich einmal mehr als taugliches Mittel, mit tragischen Themen umzugehen.
 
Dieter Oßwald