Eva Hesse

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Sie gilt als eine der einflussreichsten bildenden Künstlerinnen, deren Werke stets Verkaufspreise in Millionenhöhe erzielen, dennoch ist sie in Deutschland weitgehend wenig bekannt: Eva Hesse. Dies wird der Film „Eva Hesse“ über die 1970 im Alter von nur 34 Jahren verstorbene Künstlerin, ändern. Die Doku zeigt ausführlich ihr bewegtes Leben mit allen Höhe- und Tiefpunkten. Dass bei aller Informationsdichte und den vielen, erhellenden Interviews mit Zeitzeugen nie Langeweile aufkommt, liegt an zwei Dingen: zum einen an der kunstvollen Umsetzung inklusive tricktechnischer Sequenzen. Zum anderen an dem Umstand, dass sich der Film nicht nur Hesses Leben sondern auch ihrer Kunst in vollem Umfang widmet.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Deutschland/USA 2016
Regie: Marcie Begleiter
Drehbuch: Marcie Begleiter
Darsteller: Nicolas Serota, Robert Plimack, Sylvia Plimack Mangold,
Tom Doyle, Richard Serra
Länge: 105 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 28. April 2016

FILMKRITIK:

Für viele Experten und Kunstkritiker zählt die in Hamburg geborene Eva Hesse zu den bedeutendsten Künstlerinnen des letzten Jahrhunderts. Ihre Werke werden heute für bis zu zehn Millionen Dollar verkauft, dennoch haben viele – und vor allem auch viele Deutsche – von ihr noch nie etwas gehört. Das mag zum einen daran liegen, da sie die meisten Zeit ihres Lebens nicht in ihrer deutschen Heimat gelebt hat und zum anderen, da sie bereits 1970 im Alter von nur 34 Jahren verstarb. Eine große Ausstellung in der Kunsthalle ihrer Heimatstadt sorgte 2013 dafür, dass Hesse wieder ins allgemeine Blickfeld des öffentlichen Interesses geriet. Diese Ausstellung nahm die Illustratorin und Regisseurin Marcie Begleiter zum Anlass, um eine abendfüllende Doku über sie zu drehen.

Das Leben von Hesse war durchzogen von Schicksalsschlägen aber auch von großen Erfolgen in der Kunstszene. Ihr Leben glich einer wilden Achterbahnfahrt, einem ständigen Auf und Ab. Als Kind eines jüdischen Anwalts und einer Künstlerin, wurde sie 1936 mitten in die Zeit der Nazi-Diktatur hineingeboren. 1938 gelangte sie mit einem der letzten Kindertransporte nach Holland. Ein Jahr später emigrierte die Familie – nachdem auch den Eltern die Flucht gelang – nach New York. Nach einem Kunststudium in Yale, fand sie ab Anfang der 60er-Jahre immer mehr zu ihrem eigenen Stil. Die Malerei und bildenden Künsten waren ihr Metier und Hesse war bald bekannt dafür, für ihre Zeichnungen, Installationen und Skulpturen ungewöhnliche Materialien wie Glasfaser und Polyester zu verwenden. Ihr Werk changierte dabei stets zwischen Minimal Art und Surrealismus. 

Die Dokumentation „Eva Hesse“ ist auch deshalb so gelungen, da sie nicht nur Information und Wissen über eine oft unterschätzte Künstlerin in kompakter und nachvollziehbarer Form präsentiert, sondern weil sie auch einen künstlerischen Ansatz verfolgt – und sich damit vor Hesse quasi verneigt. Jede wichtige Lebensstation wird aufgegriffen, dabei aber nicht nur angerissen sondern mit Tiefgang und viel Akribie aufgearbeitet. Somit ergibt sich auch eine Gesamtlaufzeit von fast 110 Minuten, Langweile oder Längen entstehen jedoch nie. Dafür war das Leben der stets zu Schwermut und Melancholie neigenden, ungemein charismatischen Frau schlicht zu ereignisreich.

Der Film verheimlicht auch die tragischen und traurigen Ereignisse nicht: die Flucht vor den Nazis, den Tod der Verwandten in den KZs, den Selbstmord der Mutter kurz nach dem Krieg, das in der Ehe zu dem notorisch untreuen Bildhauer Tom Doyle erfahrene Unglück und schließlich die schlimme Krebsdiagnose 1969. Aber „Eva Hesse“ zeigt auch, wie viele schöne, wertvolle und in erster Linie höchst kreative Jahre mit einem unglaublichen Output an künstlerischen Meisterwerken Hesse hatte.

In einer Mischung aus vielen Original-Fotos, einigen wenigen Bewegtbild-Aufnahmen von Hesse und vor allem Gesprächen mit Freunden und ehemaligen Weggefährten (u.a. auch mit einem entwaffnend ehrlichen und selbstkritischen Tom Doyle), geht der Film u.a. auf die spannenden Studenten-Jahre in New York ein, während derer sie zum Liebling des Yale-Dozenten und Kunsttheoretikers Josef Albers avancierte. Oder auch auf ihre wohl wichtigste berufliche Station ab 1964: als sie mit Doyle ein Jahr in Kettwig an der Ruhr in einem Künstleratelier verbrachte, in dem ihre wichtigsten dreidimensionalen Arbeiten entstanden.

Schließlich rückt Regisseurin Begleiter auch immer wieder das Werk von Hesse selbst ins Blickfeld des Betrachters. In langen Aufnahmen präsentiert sie die vielen beeindruckenden Werke und filmt diese kunstvoll und mit atmosphärischen Kamerafahrten von allen Seiten ab. Viele der Szenen entstanden im Rahmen jener Hesse-Ausstellung 2013. Es sind surreal anmutende, faszinierende und auf den ersten Blick manchmal befremdlich wirkende Kunstwerke, bei denen es um Kontrolle, Präzision, Dynamik und Zufall geht.

Begleiter ist zudem hoch anzurechnen, dass sie die einzelnen Lebensstationen nicht einfach chronologisch abhakt sondern gekonnt und sinnvoll zwischen den (entscheidenden) Jahren und Ereignissen wechselt. Das verschifft dem Film einen ebenso kunstvollen Anstrich wie die Tatsache, dass in ihn eingebaute, kleine Animationen und Tricksequenzen für viel Abwechslung und eine gekonnte, spielerische Illustration der vermittelten Information sorgen.

Björn Schneider