Familienfilm

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Auf dem Festival-Zirkus feierte der Debütfilm des in Slowenien geborenen, in Prag lebendem Olmo Omerzu große Erfolge, kein Wunder denn „Familienfilm“ ist mit seiner schon im Titel angelegten Selbstironie, seiner manierierten Struktur, mit der eine geradezu anthropologische Versuchsanordnung erzählt wird, wie gemacht für Filmfestivals, könnte sich für den regulären Filmbetrieb aber als allzu verkopft erweisen.

Webseite: www.dejavu-film.de

Rodinny film
Tschechien/ Slovenien/ Slovakei/ Frankreich/ Deutschland 2015
Regie: Olmo Omerzu
Buch: Olmo Omerzu, Nebojša Pop-Tasić
Darsteller: Karel Roden, Vanda Hybnerová, Daniel Kadlec, Jenovéfa Boková, Eliška Křenková, Martin Pechlát
Länge: 95 Minuten
Verleih: dé-jà vu-Film
Kinostart: 2. Februar 2017

FILMKRITIK:

Eine Familie in Prag: Die Eltern Igor (Karel Roden) und Irena (Vanda Hybnerova), die Kinder Anna (Jenovefa Bokova) und Erik (Daniel Kadlec), dazu der Hund Otto. Voller Freiheit und libertärer Weltvorstellungen erziehen die Eltern ihre Kinder und haben keinerlei Bedenken, sich für Wochen zu einem Segeltörn zu verabschieden und die Kinder im Teenageralter sich selbst zu überlassen. Per Skype-Gespräch schauen die Eltern gelegentlich nach dem Nachwuchs, ansonsten hat die etwas ältere Anna das Sagen, auch Igors Bruder Martin (Martin Pechlat) schaut gelegentlich nach dem Rechten.
 
Bald übernimmt jedoch Annas laszive Freundin Kristina (Eliska Krenkova) das Kommando, nimmt Anna und Erik mit in Clubs, lässt sie Gras rauchen und führt eine hedonistische Atmosphäre ein, die bald außer Kontrolle gerät. Erik verschwindet und ist tagelang nicht auffindbar und schließlich geschieht in der Ferne ein noch viel größeres Unglück: Das Boot der Eltern kentert, allein der Hund Otto wird an einem einsamen Strand an Land gespült und scheint der einzige Überlebende.
 
Kaum die Hälfte des „Familienfilm“ ist zu diesem Zeitpunkt vorbei, doch Olmo Omerzu und sein Co-Autor Nebojša Pop-Tasić haben erst angefangen. Eine überraschende Wendung reihen sie an die nächste und mit jeder verändert sich das gerade erst etablierte Figurengeflecht, wird scheinbar feststehendes in Frage gestellt, das Sezieren der Anfangs noch so klaren Familienstrukturen weiter seziert.
 
Eine künstliche, geradezu anthropologische Versuchsanordnung, die Omerzu schon in den ersten Bildern seines Langfilmdebüts etablierte, in der Ausschnitte aus einer Tierdokumentation den Ton des Folgenden vorgeben. In der großen Wohnung in Prag ordnet Omerzu seine Figuren in gewisser Weise wie in einem Käfig an, beobachtet sie, konfrontiert sie mit zunehmend extremen Ereignissen. Dabei driftet er jedoch nie in einen kalten, zynischen Ton ab, sondern beobachtet das Geschehen vielmehr mit leichter Selbstironie.
 
So spielt etwa der Hund Otto eine zunehmend große Rolle, bildet in manchen Momenten das Zentrum des Films, der sich für kurze Zeit zu einer Art tierischen Robinsonade entwickelt, bevor er zu seinen sprechenden Protagonisten zurückkehrt. Voller Ideen ist „Familienfilm“ ohne Frage, von bemerkenswerter Klarheit und Kontrolle, die gerade für einen Debütfilm außergewöhnlich ist. Und doch haftet Omerzus Film eine gewisse Künstlichkeit an, ist das Bemühen, einen ambitionierten, ungewöhnlichen Film zu drehen, etwas zu offensichtlich zu erkennen. Viel zu bewundern gibt es an „Familienfilm“, doch durch seine fraglos eindrucksvolle Kontrolliertheit fällt es schwer, einen emotionalen Zugang zu ihm zu finden.
 
Michael Meyns