Gegen den Strom

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Ökothriller, Abenteuerfilm, Märchen und Komödie - Benedikt Erlingssons Film über eine Umweltaktivistin auf dem Kriegspfad ist all das und noch mehr: großes, originelles Arthousekino! Nach „Von Menschen und Pferden“ bleibt der Filmemacher seinem Konzept treu. Er zeigt die ursprüngliche isländische Natur in wunderbaren Bildern, dazu außergewöhnliche Menschen in surrealen Situationen. Diesmal ist die Geschichte weniger rustikal, dank einer brillanten Hauptdarstellerin sogar von beinahe poetischer Eleganz und trotzdem sehr komisch, inklusive einiger irrwitziger Verweise auf die Filmgeschichte.

Webseite: www.facebook.com/GegenDenStromFilm

Originaltitel: Kona fer í strí
Regie: Benedikt Erlingsson
Drehbuch: Benedikt Erlingsson & Ólafur Egill Egilsson
Darsteller: Halldóra Geirharðsdóttir, Jóhann Sigurðarson, Davíð Þór Jónsson, Charlotte Bøving, Hilmir Snær Guðnason
100 Minuten
Verleih: Pandora Film Medien
Kinostart: 13. Dezember 2018

FESTIVALS/PREISE:

Festival de Cannes 2018, Critics' Week, PRIX SACD

Filmfest Hamburg 2018, Cinema Art Award

FILMKRITIK:

Nach außen ist Halla eine patente, liebenswürdige Frau in den besten Endvierziger-Jahren, die allein lebt und als Chorleiterin arbeitet. Doch der Eindruck täuscht, denn Halla führt ein geheimes Doppelleben. In ihrer Freizeit ist sie eine Umweltaktivistin, die einsam, mutig und zielstrebig die isländischen Berge durchstreift, um Stromleitungen zu zerstören. Der Grund: Sie will die Natur retten, indem sie gemeinsame Machenschaften von Politik und Wirtschaft bekämpft und dafür sorgt, dass der Verkauf der isländischen Aluminiumindustrie nach China gestoppt wird. Auch wenn sie sich vieler Sympathien in der Bevölkerung sicher sein darf – die Obrigkeit betrachtet sie als Bedrohung. Als Halla erfährt, dass sie nach vielen Jahren der Wartezeit tatsächlich ein Kind aus der Ukraine adoptieren darf, verstärkt sie ihre Aktivitäten. Sie veröffentlicht ein Manifest unter dem Pseudonym „Die Bergfrau“, Halla riskiert immer mehr, ihre Anschläge werden gefährlicher, und die Verfolger rücken näher. Bald setzen sich neben der lokalen Polizei auch Geheimdienste auf ihre Spur, von Hubschraubern und Drohnen verfolgt, kann sie nur mit Hilfe eines knorrigen Schafzüchters entkommen. Obwohl sie ihr Ziel erreicht hat, hört Halla nicht auf. Sie will „den Krieg gegen Mutter Erde stoppen“.
 
Spannung und Action, herrliche Bilder aus der ursprünglichen isländischen Bergwelt, eine Erzählweise, die bei allem Tempo und Schwung gelassen bleibt. Dazu eine wunderbare Hauptdarstellerin, Halldóra Geirharðsdóttir, die sehr sportiv mit Pfeil und Bogen als weiblicher Robin Hood die Wildnis durchstreift, eine arktische Schwester der Göttin Artemis … das ist Abenteuer pur und wirklich sehr, sehr gut gemacht. Halldóra Geirharðsdóttirs darstellerisches Repertoire ist beachtlich, sie überzeugt als rechtschaffene, liebenswürdige Chormusikerin, flotte Dame und Naturkind zugleich, als zu allem entschlossene Guerillakämpferin und Beschützerin der Natur. Dabei leistet die Schauspielerin Unglaubliches, nicht nur körperlich, als grazile Bogenschützin oder als geschickte Läuferin. Sie gibt der mutigen Aktivistin zudem eine gewisse Ambivalenz. Sobald die Spirale der Gewalt in Bewegung gesetzt ist, woran sie selbst nicht ganz unschuldig ist, wird es für sie sichtbar anstrengender, für das Gute zu kämpfen. Wem nützt ihr Einsatz eigentlich? Die Falte zwischen ihren Augen vertieft sich, der Blick wird finster, doch die Entschlossenheit bleibt und wächst sogar.
 
Zusätzlich spielt Halldóra Geirharðsdóttir auch Hallas Zwillingsschwester Ása, eine Yogalehrerin auf der lebenslangen Reise nach innen, was sie mit ironischer Spielfreude bewältigt. Das Auftauchen der Zwillingsschwester ist nur eine von vielen Auffälligkeiten im Drehbuch, die jedoch eher schrullig bis liebenswert wirken und den insgesamt märchenhaften Charakter des Films verstärken. Wenn Halla mit Pfeil und Bogen eine Drohne vom Himmel holt, dann ist das vielleicht nicht sehr wahrscheinlich, aber ebenso wirkungsvoll wie symbolträchtig: Aus der Aktivistin wird die Jagdgöttin, die den Kampf gegen eine bis an die Zähne bewaffnete Übermacht auf ihrem ureigenen Terrain ausficht.
 
Ein besonders auffälliges Stilmittel ist der Musikeinsatz, denn Halla wird im wörtlichen Sinn von Musik begleitet. Ein Trio mit Schlagzeug, Tuba und Akkordeon ist stets in ihrer Nähe. Als quasi griechischer Chor zitiert er – wie das Artemis-Motiv – antike Muster, drei singende Frauen in ukrainischer Tracht gesellen sich später dazu. Das Timing ist dabei absolut perfekt. Dies zeugt dann unbedingt nicht nur vom handwerklichen Können, sondern auch vom Witz des Filmemachers, der, wie in „Von Menschen und Pferden“, mit Zitaten und Andeutungen spielt. Der Einsatz der Musiker erinnert an den Komödienklassiker „Blazing Saddles“, wo das Count Basie-Orchestra mitten in der Prärie den Gala-Auftritt des neuen Sheriffs satirisch überhöht. Einige Kamerafahrten scheinen hingegen Hitchcock zu zitieren. Außerdem handeln wieder einige Gags von den diversen Marotten isländischer Ureinwohner und von ihrer provinziellen Grundhaltung. Dazu gehört auch ein bärbeißiger Landmann, der seinen Hund „Frau“ nennt – „Bauer sucht Frau“ mal ganz anders! Und regelmäßig wird statt Halla derselbe dunkelhäutige Tourist verhaftet, während sie knapp ihren Verfolgern entkommt. Ebenso regelmäßig wird er mit den Worten „Willkommen in Island“ wieder aus der Haft entlassen. Manches ist also boshaft, manches ganz offen symbolträchtig, wie die Verbindung zur griechischen Mythologie, und vieles ist gewürzt mit einer guten Portion staubtrockenen Humors. Dann trifft mediterrane Poesie auf den Charme selbstgestrickter Islandpullover.
 
Gaby Sikorski