Green Room

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Punks versus Nazis. Wer mag, kann Jeremy Saulniers („Blue Ruin“) Festivalerfolg auf diese kurze Formel bringen. Gerecht wird man ihm damit aber nicht. Vielmehr nutzt „Green Room“ ein klaustrophobisches Setup für einen zunehmend blutigen Überlebenskampf mit den Mitteln des Genrekinos. Eine Punk-Band wird nach ihrem Auftritt in einem Nazi-Club unfreiwillig Zeuge eines brutalen Mordes. Schon die Besetzung mit Patrick Stewart, Imogen Poots und Anton Yelchin verspricht viel. Zarte Gemüter sind bei Saulnier an der falschen Adresse.

Webseite: www.green-room-film.de

USA 2015
Regie & Drehbuch: Jeremy Saulnier
Kamera: Sean Porter
Musik: Brooke Blair, Will Blair
Darsteller: Anton Yelchin, Imogen Poots, Patrick Stewart, Joe Cole, Macon Blair, Mark Webber, Alia Shawkat
Laufzeit: 95 Minuten
Verleih: Universum
Kinostart: 2.6.2016
 

FILMKRITIK:

Vielleicht war es nicht unbedingt die beste Idee, als Punkband, die sich noch dazu die „The Ain’t Rights“ nennen, ausgerechnet in einem bekannten Nazi-Schuppen auftreten zu wollen. Doch weil schon ihre letzten Gigs finanzielle Reinfälle waren, nehmen Sänger Tiger (Callum Turner), Gitarristin Sam (Alia Shawkat), Bassist Pat (Anton Yelchin) und Drummer Reece (Joe Cole) das Angebot ohne zu zögern an. „Just don’t talk about politics“ ist dann auch der durchaus ernst gemeinte Rat ihres Bekannten. Trotz einer spontanen „Nazi Fuck off“-Einlage endet der gebuchte Auftritt vor meist kahl rasiertem Publikum in Springerstiefeln wider Erwarten nicht in einem Desaster. Eigentlich freut sich die Band schon auf ihre Gage, als sie im Green Room hinter der Bühne ohne es zu ahnen Zeuge eines Mordes wird. Im Kopf einer jungen Konzertbesucherin steckt eine mehrere Zentimeter lange Klinge. Umringt von Skins, die in diesem Augenblick wahrlich keine Zeugen gebrauchen können – schon gar keine anarchistischen Punks –, droht die Lage endgültig zu eskalieren.
 
Eine knappe halbe Stunde nimmt sich Regisseur Jeremy Saulnier Zeit, um uns seine Protagonisten vorzustellen und das Setting zu etablieren. Die Ausgangslage für den folgenden Überlebenskampf scheint vertraut und an vergleichbare Genrewerke der achtziger und neunziger Jahre angelehnt. So orientiert sich die Bildsprache mit ihren anfänglichen Totalen von einsamen Waldstraßen und die anschließende Erkundung des dunklen, verwinkelten Nazi-Treffpunkts, dem Hauptschauplatz des Films, klar an der Ikonographie des Horrorfilms. Dessen Instrumentarium kommt hier durchaus zur Anwendung, wobei „Green Room“ auf bekannten Pfaden immer wieder überraschende Wendungen nimmt. Bereits die Besetzung des skrupellosen Club-Besitzers mit „Captain Picard“ und „X-Men“-Star Patrick Stewart widerspricht Genreregeln. Auch unsere Sicht auf manche Charaktere wandelt sich. Das gilt insbesondere für die von Imogen Poots gespielte Freundin der Ermordeten. Die blonde Amber ist keinesfalls das naive und schutzlose nächste Opfer der Skins.
 
Obwohl die Handlung überwiegend auf einen Ort und dort oftmals sogar nur auf einen einzigen Raum konzentriert wurde, bietet Saulniers kleiner, schmutziger Genrebeitrag genug Abwechslung und visuelle Einfälle. Allenfalls in der ersten halben Stunde schleichen sich kleine Belanglosigkeiten und Längen in die ansonsten angenehm straffe Handlung ein. Zu den atmosphärischen Instrumentalstücken der Blair-Brüder und harten Punk-Songs arbeitet „Green Room“ später hingegen sehr effektiv am Bedrohungspotenzial. Dabei überschreitet Saulniers Film aus der Sicht mancher Zuschauer vermutlich die Grenzen des Zumutbaren. Tatsächlich gehört letzteres jedoch zu den Aufgaben eines jeden guten Genrefilms. Hinzu kommt, dass die äußerst blutigen Details gelegentlich viel zu absurd erscheinen. Nicht nur in diesem Detail offenbart „Green Room“ einen zugegeben recht schwarzen Humor, der seinem weitaus düsteren Vorgänger „Blue Ruin“ gänzlich fehlte.
 
Nach seiner Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes trat „Green Room“ eine sehr erfolgreiche Festivaltournee an. Zuletzt wurde Saulniers unterhaltsamer, vertrackter Survival-Thriller bei den Fantasy Filmfest Nights gezeigt. Besonders in einer Spätvorstellung scheint dieser richtig platziert, dürfte seine Mischung aus klassischen Elementen des Horrorkinos und überraschenden Wendungen in einem solchen Umfeld doch am besten funktionieren. Saulniers Film macht nämlich keine Gefangenen – selbst wenn die Story lange Zeit das genaue Gegenteil behauptet.
 
Marcus Wessel