Happy Lamento

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Mit gewöhnlichen Maßstäben ist es kaum möglich, Alexander Kluges Film „Happy Lamento“ nahe zu kommen oder gar zu bewerten. Selbst um als Essayfilm bezeichnet zu werden, ist die Kollage aus Bildern und Tönen, die Kluge 90 Minuten lang entfaltet, oft zu unstrukturiert, springt zwischen Motiven und Assoziationen hin und her, die mal deutlich kapitalismuskritisch sind, mal kaum zu entziffern. Ein Nischenprodukt.

Webseite: http://rapideyemovies.de

Essayfilm
Deutschland 2018
Regie: Alexander Kluge
Länge: 90 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Kinostart: 20. Juni 2019

FILMKRITIK:

In den 60er Jahren war Alexander Kluge einer der Vorreiter des Neuen Deutschen Films, in den letzten Jahrzehnten hat er vor allem mit dem Intellektuellen-TV-Format „10 vor 11“ das Niveau von RTL deutlich angehoben. Mitte 2018 endete diese Sendereihe, die der Privatsender nicht ganz freiwillig in sein nächtliches Programm aufgenommen hatte, immerhin ist Kluge inzwischen auch schon 87 Jahre alt und damit selbst für die Maßstäbe des nicht unbedingt jugendlichen deutschen Fernsehens weit über das Rentenalter hinaus.

Doch sich zur Ruhe zu setzen hat Alexander Kluge augenscheinlich nicht vor, im Gegenteil. Pünktlich zum 50 Jahrestag seines Films „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“, mit dem er 1968 den Hauptpreis bei den Filmfestspielen von Venedig gewann, war er erneut am Lido zu Gast. In einer Sondervorführung wurde „Happy Lamento“ gezeigt und dürfte – das darf man getrost vermuten – die allermeisten Zuschauer ratlos zurückgelassen haben.

Kluge beschreibt seinen Film folgendermaßen: „Im Grunde genommen geht es bei diesem Film um elektrisches Licht, den Zirkus, den Song “Blue Moon” und Straßenkämpfe unter Kinderbanden im Norden Manilas – mit einer Wildheit, die normalerweise westlichen Augen nicht zugänglich ist.“ Ganz konkret ist dabei vor allem der Bezug zu Manila, der Hauptstadt der Philippinen, wo auch der einheimische Regisseur Khavn de la Cruz lebt und arbeitet, ein Regieberserker, der in den letzten 20 Jahren dutzende Filme gedreht hat, die nicht zuletzt durch ihren überbordenden Exzess in Cineastenkreisen eine gewisse Bekanntheit errungen haben. Gelegentlich brachte der Kölner Verleih Rapid Eye Movies sie auch in ausgewählte deutsche Kinos, darunter den 2016 entstandenen „Alipato – A Brief Life of an Ember“, eine wilde Geschichte über kriminelle Jugendliche, die in den Slums von Manila hausen und sich zwischen korrupten Polizisten und Gangsterbanden eine Nische erkämpfen.

Ausschnitte aus diesem Film machen nun einen Großteil von Kluges Film aus, grellbunte Bilder, oft mit kitschiger Musik unterlegt, vielleicht deshalb passend, weil Kluge „Happy Lamento“ vor allem als Musikfilm versteht. Ganz deutlich wird das in den vielen Versionen von „Blue Moon“, die zu hören sind, von der bekannten Elvis Presley-Variante, bis zu spanischen Akustikversionen. Kontextualisiert wird diese Beschäftigung mit dem Mond durch Interviews, mal echt, mal fiktiv, in denen Kluge zum Beispiel mit seinem langjährigen Mitstreiter, dem 2017 verstorbenen Schauspieler Peter Berling spricht oder auch Helge Schneider und Heiner Müller über den Mond und seine Bedeutung interviewt.

Weiteres bestimmendes Motiv ist der Elefant, der schon in Kluges „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“, eine entscheidende Rolle spielte. Hier werden die Dickhäuter oft neben Bilder von Donald Trump geschnitten, was ganz eigene Assoziationen weckt. Ohnehin darf man kaum erwarten, eine so klare Argumentation entdecken zu können, wie sie etwa Jean-Luc Godard, eine andere Koryphäe der 60er Jahre, in seinem gerade erst im Kino zu sehenden „Bildbuch“ aufmachte. Deutlich verspielter geht Kluge zu Werk, reiht Motive und Gedanken aneinander, die immer wieder Gedankenräume öffnen, oft aber auch Ratlosigkeit hinterlassen. Bemerkenswert bleibt jedoch nicht zuletzt, mit welch intellektueller Neugier und Offenheit Alexander Kluge immer noch arbeitet, sich auf die Zusammenarbeit mit einem jungen Regisseur wie Khavn de la Cruz einlässt, mit dem er inzwischen schon an einem weiteren Film arbeitet. Ein Nischenprodukt ist „Happy Lamento“ ohne Frage, aber ein immer wieder faszinierendes.

Michael Meyns