Haus ohne Dach

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In ihrem Abschlussfilm an der Filmhochschule Ludwigsburg erzählt die kurdisch stämmige Regisseurin Soleen Yusef von drei Geschwistern, die nach dem Tod der Mutter dazu gezwungen sind, aus Deutschland in ihre Heimat zurückzukehren. Dort werden sie mit äußeren, vor allem aber inneren Konflikten konfrontiert, die in „Haus ohne Dach“ auf emotionale Weise gezeigt werden.

Webseite: www.missingfilms.de

Deutschland 2017
Regie & Buch: Soleen Yusef
Darsteller: Mina Özlem Sagdıç, Sasun Sayan, Murat Seven, Wedad Sabri, Ahmet Zirek, Kaval Feyyaz Duman
Länge: 117 Minuten
Kinostart: 31. August 2017
Verleih: missingfilms

FILMKRITIK:

In Deutschland sozialisiert, dennoch emotional mit ihrer kurdischen Heimat verbunden, auch wenn ihnen das selbst lange nicht klar ist. Das sind die drei Geschwister Liya (Mina Özlem Sagdıç), Jan (Sasun Sayan) und Alan (Murat Seven), die kaum noch etwas miteinander zu tun haben und dies auch nicht wollen. Doch der letzte Wunsch ihrer Mutter Gule (Wedad Sabri) zwingt die Geschwister zu einer Reise in ihre Heimat, die sie schon lange hinter sich gelassen haben.
 
In ihrem Heimatdorf weit im Osten der Türkei gelegen will die Mutter beerdigt werden, neben ihrem Mann, der sich vor Jahren das Leben nahm. Doch die weit verzweigte Familie hat andere Pläne und so stehlen die Geschwister den Sarg und machen sich auf eine Odyssee, die sie nicht nur geographisch an neue Orte führen wird.
 
Je weiter nach Osten sie vordringen, je näher kommen sie dem Kriegsgebiet im Grenzgebiet der Türkei mit Syrien, aber auch den Weiten Kurdistans, wo die kurdische Minderheit innerhalb der Türkei seit langem um einen eigenen Staat kämpft. Doch noch wichtiger als diese äußeren Aspekte, sind die familiären Streitigkeiten, die die Geschwister immer wieder an den Rand der Verzweiflung bringen.
 
Aus anderer Perspektive, aus persönlicher Sicht wollte Soleen Yusef einen Blick auf den seit Jahren auf und abschwellenden Konflikt im Osten der Türkei und den Grenzgebieten zu Syrien werfen. Nicht das große Ganze, die Politik, die Aufstände gegen den Diktator Assad sollten in ihrem Film im Mittelpunkt stehen, sondern die subjektiven Erlebnisse der Menschen, die sich inmitten des Konflikts bewegen. Ein hehres Anliegen, für das Yusef auf klassische filmische Strukturen zurückgreift: Ein Roadmovie ist ihr Debütfilm „Haus ohne Dach“, der drei entfremdete Geschwister dazu zwingt, eine Notgemeinschaft zu bilden, die sie nicht nur geographisch bewegt.
 
Warum die zwei Söhne und eine Tochter so zerstritten sind bleibt unklar, wie manches andere in einem Film, der nicht immer eine gelungene Balance zwischen Andeutung und Zuspitzung findet. Vieles wirkt dabei zu bekannt, zu sehr nach Variation von erzählerischen Mustern, zu überlegt und gewollt. Doch je länger die Geschwister und ihre Verwandten um den Sarg der Mutter, um das richtige Begräbnis kämpfen, während draußen, meist nur im Fernsehen beobachtet, der Krieg in Syrien immer neue Opfer fordert, desto wuchtiger wird auch Yusefs Film. Zunehmend wird das etwas unbestimmte Erzählen zu einer Stärke, die am Ende dazu beiträgt, dass „Haus ohne Dach“ nicht auf intellektuelle, aber dafür emotionale Weise über den Krieg im Osten der Türkei und das Schicksal der Kurden in der Region erzählt.
 
Michael Meyns