Im Niemandsland

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Eine unschuldige, blutjunge erste Liebe im Berliner Sommer 1990. Überschattet von einem Familienzwist, der die Beziehung der zwei Liebenden auf eine harte Probe stellt. Davon handelt Florian Aigners „Im Niemandsland“, eine Art „Romeo und Liebe“ vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden deutschen Wiedervereinigung. Das romantische Drama zeichnet das glaubhafte Bild einer Zeit im Wandel und ist weitaus politischer als es der Inhalt vermuten lässt. Hier und da verwirrt es allerdings mit der emotionalen Instabilität und Reizbarkeit seiner Figuren.

Webseite: www.ImNiemandsland-Film.de

Deutschland 2019
Regie & Drehbuch: Florian Aigner
Darsteller: Emilie Neumeister, Ludwig Simon, Andreas Döhler, Lisa Hagmeister, Uwe Preuss
Länge: 92 Minuten
Kinostart: 07. November 2019
Verleih: imFilm

FILMKRITIK:

Berlin, Juni 1990. Unter den Berlinern und DDR-Bürgern herrscht noch immer Aufbruchsstimmung, aber noch ist unsicher was die Zukunft bringt. In dieser aufwühlenden Zeit verlieben sich die sechzehnjährige Katja (Emilie Neumeister) aus Westberlin und der siebzehnjährige Thorben (Ludwig Simon) aus Kleinmachnow (DDR) ineinander.  Doch ihre Liebe steht unter einem schlechten Stern, denn ihre Eltern sind wegen eines Streits um ein Haus zutiefst verfeindet.

Nach der Flucht in den Westen wurde das Elternhaus von Katjas Vater einst enteignet. Nach der Wende hat dieser nun die Möglichkeit, in das Heim seiner Kindheit zurückzukehren. Doch die Familie, die mittlerweile darin wohnt, will das Haus  nicht so leicht aufgeben. Bei dieser Familie handelt es sich ausgerechnet um Thorben und seine Eltern. Und während die Streitigkeiten allmählich eskalieren ergeben sich weitere innerfamiliäre Konflikte. So kommt Katja dahinter, dass ihre Mutter eine Affäre hat – ausgerechnet mit dem Nachbarn.

Es ist eine spannende Phase des gewaltigen gesellschaftlichen Umbruchs, in die uns Regie-Debütant Florian Aigner hier mitnimmt. Schon die ersten Szenen des Films künden davon und sorgen gleichzeitig dafür, dass der historische Rahmen vorgegeben wird: Wir sehen die ikonografischen Original-Aufnahmen aus dem November 1989, als jubelnde  DDR-Bürger nach der Maueröffnung die Grenze von Ost nach West passieren. Rund ein halbes Jahr später setzt die eigentliche Handlung von „Im Niemandsland“ ein. In dieser Zeit, in der die Währungsunion sowie die deutsche Einheit immer näher rücken, ist bei so manchem Ostdeutschen die große Euphorie schon wieder verflogen. Und man wünscht sich insgeheim gar das alte System zurück (oder zumindest Teile davon).

Auch Thorbens Mutter zählt zu den „Opfern“ der jüngsten Entwicklungen. Nach fast 25 Jahren verliert sie ihren Job, nachdem „ein Wessie“ den Betrieb aufgekauft und die gesamte Belegschaft entlassen hat. Damit richtet Aigner seinen Blick auf die allerersten Verlierer der Wende. Deren Zahl stieg rasant an, nachdem die Regierung das Motto „Rückgabe vor Entschädigung“ ausgab. Auch daran erinnert Aigner mit Nachdruck, wodurch seinem Werk eine entscheidende politische Dimension zukommt. Denn damit ruft er jenen, heute weitestgehend in Vergessenheit geratenen Rückgabe-Grundsatz in Erinnerung, der das Ziel hatte, enteignete Werte ohne Entschädigung zurückzugeben.

Zwischendurch platziert Aigner weitere originale Aufnahmen und TV-Ausschnitte, die für die entsprechende Authentizität sorgen. Dafür sorgt gleichfalls die musikalische Untermalung, bei der sich der Regisseur neben instrumentaler Hintergrundmusik ebenso populärmusikalischer Songs bedient, mit er die Gefühle der Hauptfiguren für den Zuschauer erfahr- und hörbar macht. Für die Melancholie und den Kummer einer – unglücklich – verliebten Teenagerin steht der Popsong „I promised myself“, für die Wut und das Aufbegehren der Jugend der Alternative-Punk-Klassiker „Born in the GDR“ von der Cottbusser Band Sandow.

Glücklicherweise bleibt die Liebesgeschichte weitestgehend kitschfrei, allerdings gibt es im Verlauf der Handlung ein paar Zufälle zu viel. Deutlich über die Stränge schlägt Hauptfigur Thorben mit seinen unvermittelten Wutattacken. Überhaupt verliert er sehr schnell die Kontrolle, ist leicht reizbar und neigt zu Gewaltausbrüchen – ob auf dem Schulhof oder im Hausflur, wenn er eine Schlägerei mit Katjas Vater provoziert. Einige seiner Verhaltensweisen bleiben bis zuletzt schwer nachvollziehbar. Wie jene der beiden sturköpfigen und trotzigen Familienväter, von denen lange Zeit keiner nachgeben will.

Björn Schneider