Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm

Zum Vergrößern klicken

Die „Augsburger Puppenkiste“ hat es schon getan, Campino sowie Kult-Schlagerist Dieter Thomas Kuhn ebenfalls: Die „Dreigroschenoper“ aufgeführt. Auf die Leinwand gefunden hat es das überaus populäre Stück von Brecht und Weill seit der Premiere vor 90 Jahren hingegen nur selten. Weshalb das so ist, das erklärt dieses Opus, das Realität und Fiktion virtuos verschmelzen lässt. Da ist zum einen der Brecht, der sich mit der Filmindustrie anlegt und seine ganz eigene Vision verfilmen will. Zum anderen, parallel dazu, jene bekannte Dreigroschenoper mit dem Gangster Macheath, dem Bettlerkönig Peachum sowie dessen hübscher Tochter Polly. Für die Besetzung des Kunst-Revoluzzers Brecht kann es natürlich nur einen geben: Jener laut Selbstauskunft „beste Schauspieler der Welt“, nämlich Lars Eidinger. An dieser Verfremdungs-Wundertüte hätte Brecht wohl sein Vergnügen gehabt. Ein mutiger großer Wurf, der dem deutschen Kino guttut!

Webseite: www.wildbunch-germany.de

D 2018
Regie: Joachim Lang
Darsteller: Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Claudia Michelsen, Britta Hammelstein, Christian Redl
Länge: 130 Minuten
Verleih: Wild Bunch Germany
Kinostart: 13.9.2018

FILMKRITIK:

„Dieser Film erzählt die Geschichte eines nie gemachten Films und gibt den Künstlern ihre Stimme: einem jungen, wilden Kollektiv, das mit seiner Kunst die großen gesellschaftlichen Fragen stellt und einen Welterfolg schafft. Alles, was Brecht im Film sagt, beruht auf Zitaten aus seinem gesamten Werk und Leben.“ Ein bisschen Vorwissen vor dem Vorspann kann kaum schaden. Zumal die originelle Idee, ausschließlich Original-Zitate zu verwenden, den Aussagen des Lars Eidinger als Brecht gleich einen ganz besonderen Stellenwert verleiht.
 
Am Anfang ist der Streit. Und der fällt heftig aus bei der Generalprobe von „Die Dreigroschenoper“ am Theater am Schiffbauerdamm. „Ist doch Quatsch, ist doch albern Herr Brecht!“, meckert Mackie Messer alias Tobias Moretti. „Das ganze Stück ist doch eine Sauerei!“ klagen andere. Doch die Premiere am 31. August 1928 gerät zum sensationellen Triumph und wird zum größten Theatererfolg der Weimarer Republik avancieren. Prompt will ein findiger Film-Produzent den populären Stoff ins Kino bringen. Brecht sollte die Grundlage für das Drehbuch liefern. Sein radikales Exposé „Die Beule - Ein Dreigroschenfilm“ sorgt bei der Nero-Film AG freilich für Entsetzen. Der Autor verweigert sich mit genüsslichem Trotz den Regeln der Filmindustrie. „Wer die Handlung nicht gleich begreift, braucht sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Sie ist unverständlich. Wenn Sie nur etwas sehen wollen, was einen Sinn macht, dann müssen Sie auf das Pissoir gehen. Der Eintrittspreis wird auf keinen Fall zurückerstattet“, spricht er das werte Publikum direkt an.
 
Parallel zur Geschichte vom Kampf des Brecht gegen die Branche („Die Filmindustrie ist zu doof und muss erst bankrott gehen.“) gibt es dessen Visionen einer Verfilmung seiner „Dreigroschenoper“ in Episoden zu erleben. Die bekannten Konstellationen des Bühnenstücks bleiben erhalten: Macheath, der Mackie Messer heiratet heimlich Polly (Hannah Herzsprung), die Tochter seines Gegenspielers Peachum (Joachim Król), dem König der Bettler. Der schwört Rache am Rivalen. Die Protektion durch den Polizeichef Tiger Brown (Christian Redl) wird Mackie nur kurz retten. Denn Peachum bringt seine Armee der Bettler in Stellung und droht, die Krönungsfeierlichkeiten zu stören. Wenig verwunderlich, dass in dieser radikalen „3 Go“-Version 2.0. die Gangster zu Bankiers mutieren. „Es muss erreicht werden, dass die Reichen gute Reiche und die Armen gute Arme sind“, meint der aktualisierte Mackie.
 
Derweil auf der Leinwand jene Szenen eines nie gedrehten Films zu sehen sind, geht in der Parallel-Handlung das reale Leben von Brecht weiter, ein „making of“ sozusagen. Die Aufführung seiner Bühnenstücke wird von SA-Truppen gestört. Die Vereinigung der Kinobetreiber findet den geplanten Film als sittenwidrig und wettert: „Auf Brecht und Weill gehört ein grober Keil“. Doch der Kultur-Rebell bleibt trotzig. Er zerrt seine Produktionsfirma vor Gericht, um seine geplante Niederlage als exemplarisches Lehrstück zu inszenieren. „Ein soziologisches Experiment“ nennt er den Prozess, bei dem Juristen und Journalisten zu unfreiwilligen Akteuren werden sollen.
 
Regisseur Joachim Lang weiß sehr genau, wovon er erzählt, immerhin schrieb er seine Doktorarbeit über die „Dreigroschenoper“ und war acht Jahre lang künstlerischer Leiter des Brecht-Festivals. Vielleicht weiß er es ein bisschen zu genau, kommt bei seinem Regie-Debüt bisweilen zu akribisch vom Hölzchen zum Stöckchen. Etwas weniger verklärter Heiligenschein beim Säulenheiligen Brecht und mehr Macken beim Mackie-Macher hätten dem freien Radikalen gewiss kaum geschadet - ebenso wie ein Viertelstündchen Laufzeit weniger.  
 
Gleichwohl ist das ambitionierte Werk allemal sehenswert und unterhaltsam - und das nicht nur für Deutschlehrer und Brechtologen! Das hochkarätige Ensemble hat sichtlich Spaß an dieser Variante des Klassikers. Der Sound des 80 Musiker starken SWR Symphonieorchester verleiht den bekannten Lieder von der „Seeräuber Jenny“ über die „Ballade vom angenehmen Leben“ bis zum „Kanonensong“ einen wuchtigen Klang. Mit Eric Gauthier, dem Publikumsliebling des Stuttgarter Balletts, sorgt ein Tanz-Könner für die grandiose Choreografie.  
 
„Ein Film, der mit Sehgewohnheiten bricht, Überraschungen bietet und neue Möglichkeiten aufzeigt. Es ist ein Experiment, ein Versuch etwas Neues zu wagen, ich bin mir bewusst, dass dies auch Widerspruch auslösen wird“, kommentiert der Regisseur sein Konzept. An dieser Verfremdungs-Wundertüte hätte Brecht wohl sein Vergnügen gehabt - ihm selbst bleibt das bewegende Schlusswort, „An die Nachgeborenen“ im Original-Ton mit Augsburger Dialekt.
 
Hört man diesen Akzent, lässt sich umso mehr bedauern, dass die Version des Marionettentheaters aus Brechts Geburtsstadt von 1960 nicht mehr verfügbar ist. Gleichfalls verschollen ist jene rasante „3GO“-Version des Dieter Thomas Kuhn - untersagt von den gestrengen Erben. Beim „besten Schauspieler der Welt“, dem Eidinger, würde man solches sicher kaum wagen!
 
Dieter Oßwald