Petting statt Pershing

Zum Vergrößern klicken

Es ist die Zeit von Helmut Kohl, der Neuen Deutschen Welle und des atomaren Wettrüstens. Die Coming-of-Age-Dramödie „Petting statt Pershing“ führt den Zuschauer zurück in die frühen 80er-Jahre und beobachtet eine rebellische Schülerin in der hessischen Provinz. Mit bissigem Wortwitz und absichtlich überspitzt funktioniert der Film als schwarzhumorige Satire auf ländliche Borniertheit und Spießigkeit ausgesprochen gut, auch wenn ihm gegen Ende die Glaubwürdigkeit etwas abhandenkommt.

Webseite: www.Petting-statt-Pershing-derFilm.de

Deutschland 2018
Regie & Drehbuch: Petra Lüschow
Darsteller: Anna Florkowski, Florian Stetter, Christina Große, Thorsten Merten
Länge: 97 Minuten
Kinostart: 05. September 2019
Verleih: NFP

FILMKRITIK:

Die BRD, 1983: Die 17-jährige Ursula (Anna Florkowski) eckt mit ihren linken Ansichten und ihrem Interesse an Politik ziemlich an. Doch auch abgesehen von der Engstirnigkeit ihres Umfelds, ist ihr Leben alles andere als ein Spaß. Kinder und Jugendliche gelten im Dorf als Unruhestifter, die Noten in der Schule lassen zu wünschen übrig und die Ehe ihrer dauerstreitenden Eltern (Christina Große, Thorsten Merten) neigt sich auch dem Ende entgegen. Ein Lichtblick in Ursulas Leben ergibt sich, als eines Tages der linke Physik-Lehrer Siegfried Grimm (Florian Stetter) auftaucht. Bald verdreht er nicht nur Ursula sondern auch vielen anderen Bewohnerinnen des Ortes den Kopf – was Ursula nicht so leicht auf sich sitzen lassen kann.

Der vollständig in Hessen gedrehte „Petting statt Pershing“ ist der erste Spielfilm für Petra Lüschow, die sich in den letzten Jahren einen Namen als Drehbuchautorin gemacht hat. So lieferte sie unter anderem das Skript zum Kriminalfilm „Tannöd“ (2009) sowie zu „Nachbeben“, einem Schweizer Drama von 2006. Ausgebildet wurde sie in Berlin. Dort studierte sie erst Literatur und Film, im Anschluss Drehbuch und Dramaturgie.

Mit augenzwinkerndem Humor und geschliffenen One-Linern beschwört die Komödie eine Zeit herauf, in der die von den 68ern beeinflusste Alternativbewegung den westdeutschen provinziellen Raum erreichte. Viele Linksalternative traten für eine offene Gesellschaft, Anti-Atomkraft,  unkonventionelle Lebensmodelle und freie Liebe ein - im Film symbolisiert und wunderbar auf die Spitze getrieben durch die Figur des Lebemanns Siegfried, der gegen die atomare Aufrüstung eintritt und auf einem Bauernhof Kurse zu Themen wie „Selbstbefreiung“ und „gewaltfreier Proteste“ anbietet. Florian Stetter spielt seine Figur mit ironischer Leichtigkeit und (bewusst überzogener) spleeniger Attitüde.

Gelungen stellt Lüschow zudem die kleinbürgerliche Ignoranz und Intoleranz dar. Querdenker sind im Dorf, im dem jeder jeden kennt, nicht erwünscht. Es wird getuschelt und getratscht. Ursulas Vater ist der Hausarzt, der mit allen per „Du“ ist, und sich in seiner Freizeit aufopferungsvoll in der Gemeinde und Kirche engagiert. Die Regisseurin zeichnet das Landleben zu Beginn der 80er-Jahre als eine Zeit, in der die Heranwachsenden wie Ursula und ihre Freundin Isabell unter der autoritären Erziehung ihrer Eltern, der Kriegskinder-generation, leiden.

Erwachsene, die nach außen oft den Schein der glücklichen, familiären Idylle wahren - sich insgeheim aber unverstanden und ungeliebt oder aber zutiefst gelangweilt fühlen. Kein Wunder, dass in „Petting statt Pershing“ nicht wenige der erwachsenen Charaktere betrügen, lügen oder fremdgehen - oder alles gleichzeitig. Durchweg sympathisch ist die von Anna Florkowski mit viel Spielfreude dargestellte Hauptfigur, die sich für Albert Kinsey interessiert, Camus studiert und schnell Gefallen am Aufbegehren gegen die antiquierten Ansichten ihrer sittenstrengen Mitmenschen findet.

Im letzten Drittel jedoch geht „Petting statt Pershing“ etwas die Luft aus, was vor allem darin begründet ist, dass den Handlungen Ursulas kein ernstzunehmender, glaubhafter Konflikt zu Grunde liegt. Ziemlich albern und unfreiwillig komisch wird es, wenn sie am Ende zu völlig radikalen Mitteln greift, um dem freiheitsliebenden, polyamoren Siegfried dessen „amouröses“ Fehlverhalten vor Augen zu führen. Die plötzliche charakterliche Entwicklung des bis dahin unscheinbaren, eher schüchternen Mädchens hin zur rabiat auftretenden Rächerin der (betrogenen) Frauen gestaltet sich wenig glaubwürdig.

Björn Schneider