Projekt A

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Weniger eine Dokumentation über Herkunft und Bedeutung des Begriffs Anarchie, als eine lose Darstellung diverser moderner Formen von Projekten und Protestformen, die sich möglicherweise als neue, moderne Formen der Anarchie verstehen lassen, das ist Marcel Seehuber und Moritz Springers „Projekt A – Anarchistische Projekte in Europa“, eine engagierte, aber nie einfältige Dokumentation.

Webseite: www.projekta-film.net/de

Deutschland 2015 - Dokumentation
Regie, Buch: Marcel Seehuber & Moritz Springer
Länge: 85 Minuten
Verleih: Drop-Out-Cinema
Kinostart: 4. Februar 2016
 

FILMKRITIK:

Unzählige Assoziationen weckt der Begriff Anarchie, irgendwie um Aufruhr, Kampf gegen Ungerechtigkeit kreisen die Gedanken, der Ton Steine Scherben Song „Macht kaputt was euch kaputt macht!“ kommt in den Sinn, vielleicht noch der Name Bakunin. Dieser geistige Vater der Anarchie wird auch in Marcel Seehuber und Moritz Springers Dokumentation „Projekt A – Anarchistische Projekte in Europa“ kurz erwähnt, doch um eine Darstellung der Ideengeschichte des Anarchismus geht es dem Regie-Duo nicht.

Auf ihrer Reise durch Europa besuchen sie stattdessen zahlreiche Projekte, die auf die ein oder andere Weise gegen die Ungerechtigkeiten kämpfen, die als Folge des modernen Kapitalismus immer mehr zunehmen: In Deutschland ist das etwa eine Anti-Atomkraft-Aktivistin, die sich in etwas anachronistisch anmutender Manier immer noch an Bahngleise ankettet, um immer noch Atomtransporte zu verhindern, immer wieder verhaftet wird, aber unermüdlich weitermacht. In zwei der größten „Problemländer“ Europas, Griechenland und Spanien, finden sich wenig überraschend ebenfalls Projekte, in denen sich Aktivisten für ein Leben frei von den Einschränkungen der Gesellschaft einsetzen. Etwas bodenständiger geht es dagegen in München zu, wo das so genannte Kartoffelkombinat erfolgreich private Landwirtschaft betreibt und zahlreiche Familien mit selbst angebautem und ganz nebenbei lokalem Gemüse versorgt.

Was das mit Anarchie zu tun hat? Auf den ersten Blick herzlich wenig. Mit (Klischee)-Bildern von aggressiven, Steine werfenden Aktivisten hat dies nichts mehr zu tun, der Protest gegen den Mainstream der Gesellschaft läuft hier deutlich organisierter und vor allem friedlicher ab. Ist deswegen aber nicht weniger relevant als Aktionen, die vielleicht eine größere Aufmerksamkeit in den Medien erzielen, aber im Endeffekt verpuffen. Mit Gewalt, Steinen oder gar Molotowcocktails gegen dem Staat zu kämpfen erscheint in der heutigen Zeit eher unsinnig und bewegt sich nah am Terrorismus.

So wundert es kaum, dass etliche der hier vorgestellten Projekte eher den Anschein ganz gewöhnlicher Protestbewegungen haben, ganz normaler Protest gegen Globalisierung, Atomkraft oder Gentrifizierung ist. Etwas willkürlich mag die Zusammenstellung wirken, doch angesichts der Komplexität der modernen Welt ist es vermutlich auch gar nicht anderes möglich: Nicht mehr das große Ganze kann verändert werden, sondern nur noch die kleinen Stellschrauben lassen sich, wenn überhaupt, verändern. Mit Anarchie im Sinne des radikalen Kampf gegen das System hat das nicht mehr viel zu tun, aber diese Form der Rebellion scheint sich heute auch längst überholt zu haben. Nicht mehr gegen das System sind Veränderungen möglich, sondern aus dem System heraus, eine Haltung, die in „Projekt A – Anarchistische Projekte in Europa“ auf angenehm undogmatische Weise vertreten wird.
 
Michael Meyns