Schau mich nicht so an

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Hochgelobt und vielfach ausgezeichnet: Die stilistisch und inhaltlich ungewöhnliche Geschichte einer Frauenbeziehung ist verwirrend und manchmal verstörend, mehr Collage als Erzählung. Usenma Borchu, eine junge Filmemacherin mit Wurzeln in der Mongolei, spielt auch die Hauptrolle in ihrem Spielfilmdebüt. Sie zeigt eine Frau, die anstelle von Liebe nur Manipulation kennt, und bereit ist, mit sämtlichen Konventionen zu brechen. Das ist teilweise hochgradig kunstvoll und immer spannend anzusehen, ebenso konsequent wie radikal sowohl in der Bildsprache als auch in der puzzlehaften Erzählform – ein ganz besonderer kleiner Film für das cineastisch interessierte Publikum.

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Deutschland/Mongolei 2015
Regie/Drehbuch: Uisenma Borchu
Darsteller: Uisenma Borchu, Catrina Stemmer, Josef Bierbichler, Anne-Marie Weisz, Chimge Tsevelsuren
Kamera: Sven Zellner
Länge: 88 Minuten, FSK: ab 16 J.
Verleih: Zorro Film
Kinostart: 16. Juni 2016
 

FILMKRITIK:

Hedi ist eine ziemlich originelle junge Frau: Sie raucht wie ein Schlot, säuft Wodka und ist auch sonst nicht zimperlich. Beim Sex macht sie klare Ansagen. Wer nicht spurt, fliegt raus. Dabei wirkt Hedi immer entspannt. „Ich mache keine Szenen“, sagt sie einmal, und tatsächlich scheint sich Hedi richtig wohlzufühlen, was immer sie auch tut. Über den Kontakt zu einem Nachbarskind lernt sie die Mutter kennen: Iva, eine allein erziehende Frau und so etwas wie das größtmögliche Kontrastprogramm zu der unkonventionellen Hedi. Während Iva sich zur Sklavin ihrer Tochter Sophie macht und in allem, was sie tut, ständig unter Volldampf steht, scheint Hedi auf alles zu pfeifen, was Iva für wichtig hält. Auf der einen Seite steht die brave Deutsche, immer bedacht, alles richtig zu machen. Auf der anderen Seite die kapriziöse Mongolin, die sich nimmt, was sie haben will. Bald nähern sich die Frauen auch sexuell einander an und beginnen eine Liebesbeziehung, in der Hedi ganz offensichtlich den Ton angibt. Und nicht nur das: Durch ihr Verhalten, das man ehrlich nennen könnte oder rücksichtslos, je nach Disposition, provoziert und schockt sie Ivas Umgebung. Iva nimmt alles hin, auch dass Hedi die Babysitterin vergrault, doch als Ivas Vater Sepp auftaucht, nimmt die Beziehung eine unerwartete Wendung: Hedi verführt Sepp und scheint nun nicht mehr an Iva interessiert zu sein.
 
Hedis generelle Beziehungsunfähigkeit, ihre offensichtliche Egozentrik und ihre unbekümmerte Einstellung zur eigenen Sexualität stehen im Mittelpunkt des Films, in dem es vor allem um Identität geht. Uisenma Borchu gelingt es dabei, all diese Aspekte in einen direkten Zusammenhang mit Hedis Biographie zu setzen, ohne das allzu offensichtlich zu thematisieren. Zwischendurch gibt es eine Art Nebenhandlung, die Hedi und Ivas kleine Tochter Sophie allein in der Mongolei bei Hedis Großmutter zeigt, was für Verwirrung sorgt, auch wegen der unklaren zeitlichen Verortung. Diverse mongolische Rituale werden dabei präsentiert, die zwar ziemlich interessant sind, aber letztlich weder Handlung noch Inhalt direkt betreffen. Das wirkt dann wie ein Mix aus Effekthascherei und spirituellem Mambojambo – nicht unbedingt notwendig und wenig sinnstiftend.

Viel spannender ist Hedi in Deutschland, wo sie wie eine Mischung aus Femme fatale und Elefant im Porzellanladen wirkt. Mal sensibel, mal brutal zeichnet Uisenma Borchu das Bild dieser merkwürdigen Frau, die sich absichtlich den geltenden moralischen Grundsätzen entzieht. Hedi bietet der fünfjährigen Sophie Zigaretten an, preist den Alkohol als Droge, aber sie kann auch durchaus mal ganz sensibel und umgänglich sein. Ob hier tatsächlich Geschlechterrollen in Frage gestellt werden, ist weniger das Thema als vielmehr die Entwicklung dieser collagenhaften Geschichte, die von Kontrasten lebt. Sie zeigt eine Frau, die immer ein wenig traurig wirkt, vielleicht weil sie auf der Suche nach etwas ist, was sie selbst nicht bezeichnen kann und was sich nur schemenhaft mit dem Begriff „Identität“ umschreiben lässt.

Uisenma Borchu, die ebenso wenig gelernte Schauspielerin ist wie ihre Freundin Catrina Stemmer als Iva, hat alle Rollen bis auf Ivas Vater (Josef Bierbichler) mit Laien besetzt. Den Dialogen merkt man zwar die Improvisation an, doch verleiht das dem Film zusätzlich Dichte und Authentizität. Die beiden Frauen spielen mit viel Mut, nicht nur zur körperlichen Nacktheit, sondern auch zur emotionalen Entblößung, denn um glaubwürdig zu sein, müssen Laien bekanntlich mehr sie selbst sein als die Profis. Josef Bierbichler bringt mit seiner Ruhe und Gelassenheit eine zusätzliche Ebene ins Spiel: Er ist der abgeklärte Alte, mit dem sich Hedi sexuell und intellektuell messen möchte. Ihre manipulative Art kann sich Hedi leisten, weil sie ein Höchstmaß an Intelligenz mit großer Schönheit und einem Minimum an Moral verbindet. Daraus entwickelt sich diese ganz besondere Variante eines sensiblen Frauenfilms, denn Hedi ist nicht nur die Heldin, sondern auch so etwas wie ein Monster. Wie die junge Filmemacherin diese gleichzeitig faszinierende und abstoßende Persönlichkeit so freizügig wie selbstverständlich in Szene setzt, wird – auch dank der intensiven, manchmal fast hypnotischen Kameraarbeit von Sven Zellner – zum feinsinnigen Kinoerlebnis.
 
Gaby Sikorski