Schule, Schule – Die Zeit nach Berg Fidel

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Hella Wenders' 2011 veröffentlichte Langzeitdoku „Berg Fidel – Eine Schule für Alle“ stellte mit dem inklusiven Ansatz der Münsteraner Grundschule Berg Fidel eine alternative Lehrmethode vor. Nach der vierten Klasse stand den vier Kindern, die Wenders über die gesamte Grundschulzeit begleitete, der Wechsel an verschiedene weiterführende Schulen bevor. Sechs Jahre später zeigt sie im Nachfolger „Schule, Schule – Die Zeit nach Berg Fidel“, wie die Protagonisten von damals außerhalb der Gemeinschaftsgrundschule zurecht kommen. Im Verlauf eines Schuljahrs erweitert Wenders die Perspektive über die Primarstufe hinaus und liefert weitere Denkanstöße für die Bildungsdebatte.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Deutschland 2017
Drehbuch, Regie: Hella Wenders
Mitwirkende: Samira Staschel, Jakob Leonhard, David Leonhard, Anita J.
Laufzeit: 98 Min.
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 21. September 2017

FILMKRITIK:

Der 14-jährige David trägt ein Hörgerät, sieht auf einem Auge fast nichts und ist schmächtiger als die meisten Gleichaltrigen. Weil der hochbegabte Schüler nach der Grundschule vom Gymnasium abgelehnt wurde, wechselte er an eine private Montessorischule mit offenem Unterricht und viel freier Arbeit. Hier spielen die Beeinträchtigungen des nachdenklichen Einserschülers keine große Rolle, doch um das Abitur zu machen, muss David nach der 10. Klasse erneut die Schule wechseln. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Jakob, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde, wechselte an dieselbe Privatschule und profitiert ebenfalls vom inklusiven Unterricht.
 
Doch nicht alle der Kinder aus „Berg Fidel“ genießen weiterhin eine innovative Schulbildung. Die mittlerweile 16-jährige Anita, die als Kind mit ihren Eltern aus dem Kosovo floh, vermasselte an einer öffentlichen Förderschule den Hauptschulabschluss, den sie nun an einem Berufskolleg nachholen will. Auch der 11-jährigen Samira fiel der Übergang von der beschaulichen Grundschule an eine große Gesamtschule schwer. Mittlerweile hat das Mädchen neue Freunde gefunden, doch die Sorge, wie in der Zeit nach dem Schulwechsel als Außenseiterin dazustehen, bleibt.
 
Zwischen den Beobachtungen aus dem Schulalltag begleitet Hella Wenders die Kinder auch nach Hause und in der Freizeit. Dabei werden ganz unterschiedliche familiäre und persönliche Hintergründe deutlich, etwa Anitas Erinnerungen an die Flucht aus dem Kosovo, Samiras Gedanken zu ihrer Adoption und Einblicke in die Pubertät, wenn Jakob zarte Bande mit einer Klassenkameradin knüpft. Das Vertrauen, das die Protagonisten der Filmemacherin bereits im Vorgängerprojekt schenkten, ermöglicht erneut unverstellte Einblicke in den Alltag und die Befindlichkeiten der Teenager.
 
Hella Wenders kommentiert sporadisch aus dem Off, stellt Fragen und hakt nach, rückt ihre Perspektive aber nie zu sehr in den Vordergrund, sondern lässt die Protagonisten selbst zu Wort kommen. Eine Kenntnis des Vorgängerprojekts ist nicht vonnöten, da Wenders die Grundschulzeit mit Material aus der ersten Langzeitbeobachtung resümiert. Durch den direkten Vergleich zwischen Kindheit und Jugend überzeugt die Fortsetzung nicht nur als sinnvolle Ergänzung des ersten Teils, sondern als thematisch vielfältiges, eigenständiges Jugendporträt.
 
Christian Horn