Seashore

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Zwei Freunde nutzen eine Reise in den Süden, um sich über ihre Wünsche und Sehnsüchte klar zu werden – und darüber, was sie füreinander empfinden. Während des Trips, loten sie die Grenzen zwischen Liebesbeziehung und Freundschaft sowie Isolation und Gemeinschaft, aus. Der brillant gespielte Erstling „Seashore“ lebt vom chaotischen Seelenzustand und der schwankenden Gefühlswelt seiner heranwachsenden Hauptfiguren. Entstanden ist ein poetisches, bewegendes Indie-Drama.

Webseite: www.pro-fun.de

Brasilien 2015
Regie & Drehbuch: Filipe Matzembacher, Marcio Reolon
Darsteller: Mateus Almada, Maurício José Barcellos, Elisa Brites, Francisco Gick
Länge: 83 Minuten
Verleih: Pro-Fun Media
Kinostart: 30. März 2017

FILMKRITIK:

Martin (Mateus Almada) wird von seinem Vater in eine Stadt im Süden Brasiliens, geschickt. Dort soll er bei seiner Oma ein Dokument für eine Familienerbschaft abholen. Martin leidet seit langem sehr unter seinem gefühlskalten Vater. Mit dem Trip in die Küstenstadt hofft er, auf andere Gedanken zu kommen. Mit dabei ist auch der sensible Tomaz (Maurício Barcellos). Martin und Tomaz kennen sich schon länger, haben sich nur längere Zeit aus den Augen verloren. Sie nutzen die Reise auch, um sich den Freuden des jugendlichen Daseins hinzugeben: sie treiben Unfug, trinken Alkohol und feiern Partys. Doch sie sprechen auch über ihre intimsten Sorgen, Wünsche und sexuellen Sehnsüchte. Insgeheim fühlen sie sich zueinander hingezogen, doch keiner wagt den ersten Schritt.

„Seashore“ ist das Filmdebüt der beiden Regisseure Filipe Matzembacher und Marcio Reolon. Ihr Erstling ist stark autobiografisch gefärbt, verbrachten Beide ihre Jugend doch in einer in Porto Alegre, einer Küstenstadt am Rio Guaíba. Im Film dient das Meer als Metapher für die stürmischen Gefühle einer aufbrausenden ersten Liebe. „Seashore“ wurde 2015 bei der Berlinale in der Sektion „Generation und Forum“ gezeigt.

In ruhigen, melancholischen Bildern loten die beiden Filmemacher das emotionale Chaos der Hauptfiguren aus. Diese stehen stellvertretend für etwas, was sich früher oder später in jedem jungen Menschen abspielt, der an der Schwelle zum Erwachsensein steht: Identitätsfindung, das Ausloten sexueller Möglichkeiten und die Abgrenzung gegenüber den Eltern. Daher funktioniert „Seashore“ durchaus als allgemeingültiges Drama über universelle Themen, die die Lebensrealität junger Menschen bestimmen.

Weitere Fragen, die der Film zu beantworten versucht: was ist Freundschaft, was Liebe? Und: wann hört Freundschaft auf und beginnt, sich in Lust und Verlangen zu entwickeln? Es vergeht viel Zeit im Film, bis sich Martin und Tomaz ganz ihren Gefühlen und Gelüsten hingeben können. Spätestens auf einer Party mit Freunden, deutet sich die gegenseitig empfundene sexuelle Anziehung deutlich an. Doch erst in den letzten Minuten des Films, nach rund 70 Minuten, bricht sich das Bahn, was sich die Tage über angestaut an. Diese intimen Momente kommen wie erwähnt spät, aber dafür umso intensiver und nachdrücklicher.

Mateus Almada und Maurício Barcellos spielen die Liebesszenen zwischen Martin und Tomaz mit derartiger Hingabe und emotionaler Wucht, dass diese Momente zu den Höhepunkten des Films zählen. Doch auch davor, vermitteln sie für den Zuschauer die seelische Achterbahnfahrt von Heranwachsenden, äußerst glaubhaft. Eine Achterbahnfahrt zwischen seelischer Isolation, emotionalem Rückzug, Rauschzuständen und sexuellen Experimenten. Aber genauso zwischen dem Aufbegehren gegenüber den Eltern und dem Versuch, seinen eigenen Weg im Leben zu finden. Dazu rät Tomaz dem durch seine  homosexuellen Neigungen verunsicherten Martin auch an einer Stelle des Films: er müsse seinen eigenen Weg gehen und sich vom intoleranten Vater frei machen. Dieser würde sich ohnehin nie ändern.

Matzembacher und Reolon inszenierten ihren Film mit der Handkamera, was für viele dokumentarisch anmutende Augenblicke sorgt. Und ebenso für die Unmittelbarkeit von Stimmungen und Atmosphäre. Die nervöse Wackelkamera bringt aber auch ein wenig Unruhe und Nervosität in den Film und beißt sich mit den ansonsten eher poetischen, melancholischen Aufnahmen vom endlosen Strand oder der Weite des Meers.

Zudem bedient der Film im Zuge der Party-Szene, das ein oder andere Teenie- und Party-Klischee: vom obligatorischen „Wahrheit-oder-Pflicht“-Spiel bis hin zur Tatsache, dass am Ende Personen miteinander im Bett landen, die eigentlich gar nicht so sehr aufeinander stehen. Die hypnotische und von sinnlichen elektronischen Klängen durchzogene musikalische Untermalung, entschädigt aber für diese Schwäche.

Björn Schneider