Tiger Girl

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Ein frischer Wind namens Impro-Film weht seit einiger Zeit durch das deutsche Kino und ist nun mit Jakob Lass' neuem Film „Tiger Girl“ sogar als Eröffnungsfilm des Panorama-Special eingeladen. Wilde 90 Minuten lang schickt Lass ("Love Steaks") seine beiden Protagonistinnen dabei durch Berlin, voller Tatendrang und Aggression, was mal mitreißend, mal ermüdend ist.

Webseite: www.constantin-film.de/kino/tiger-girl

Deutschland 2016
Regie: Jakob Lass
Buch: Jakob Lass, Eva-Maria Reimer, Ines Schiller, Nicholas Woche
Darsteller: Ella Rumpf, Maria Dragus, Enno Trebs, Orce Feldschau, Benjamin Lutzke, Frank Rogowski
Länge: 90 Minuten
Verleih: Constantin
Kinostart: 6. April 2017

FILMKRITIK:

Sie könnten nicht unterschiedlicher sein: Margarete (Maria Dragus), die bei der Polizei durchgefallen ist und nun eine Ausbildung bei einem Sicherheitsdienst macht, und Tiger (Ella Rumpf), ein wilder, ungezügelter Freigeist, die in einem Wohnwagen lebt oder mit ihren Freunden auf einem Dachboden Drogen nimmt und keine Hemmungen zu haben scheint. Margarete dagegen ist unsicher, zurückhaltend, ein echtes Mauerblümchen und zunächst mehr als irritiert, als Tiger sie vor der Anmache eines Typen rettet. Sich einfach so in fremde Angelegenheiten einzumischen, nicht groß zu denken, sondern zu machen, das kennt Margarete nicht, schon gar nicht von sich selbst.

Anfangs skeptisch, ist sie zunehmend fasziniert von Tiger, die so lebt, wie es Margarete noch nicht einmal zu träumen wagte. Gemeinsam zieht das Duo bald durch die Nacht und die Clubs, Margarete wird auf den neuen Namen Vanilla getauft, doch so rein bleibt sie nicht lange: Immer aggressiver wird sie, erscheint ihre äußerliche Unschuld wie ein Vermächtnis aus einer anderen Zeit. Als Vanilla auch noch anfängt, wildfremde Menschen völlig ohne Grund zu verprügeln, wird es selbst Tiger zu bunt.

Neben Axel Ranisch, dem inzwischen sogar die Regie bei der deutschen Institution Tatort übertragen wurde, ist Jakob Lass der etablierteste einer Riege junger deutscher Regisseure, die seit einigen Jahren für Furore sorgen. Impro-Film heißt das Zauberwort, also Drehen ohne ein festes Drehbuch, am besten in chronologischer Reihenfolge, oft mit Laiendarstellern, die Variationen ihrer Selbst verkörpern. Was für die trägen Strukturen der deutschen Filmförderung ein Graus ist, bringt frischen Wind ins Kino, hat aber auch offensichtliche Grenzen.

Wie groß können Filme sein, die improvisiert sind, wie lange kann und muss man sich Zeit nehmen, wenn man nur ungefähr weiß, was am Ende herauskommen soll, wie lässt sich schließlich mehr oder weniger disparates Material in eine Form bringen, die am Ende doch einer gewissen Narration folgen soll? Die Qualitäten des Impro-Films werden auch in „Tiger Girl“ schnell deutlich: Gerade die Neuentdeckung Ella Rumpf spielt mit kaum zu glaubender Wucht, hat ein Funkeln in den Augen, das ungezügelt, wild und aufregend lodert. Immer wieder entstehen dadurch packende Szenen, Momentaufnahmen des Lebens, roh und authentisch.

Doch immer wieder, gerade wenn die Dramaturgie in den Vordergrund rückt und deutlich wird, wie sich Margarete von der jungen Unschuld zur rücksichtslosen Aggressorin wandelt, Tiger sich dagegen als Rebellin mit Moral herausstellt, stößt das Impro-Konzept an seine Grenzen. Etwas schlicht wird es da auf Dauer, wenn die Protagonisten immer wieder auf sich und andere einprügeln, Aggression und Gewalt als fast einziges Ausdrucksmittel übrig bleibt. Am Ende bekommt Lass gerade so die Kurve, bringt seinen Film zu einem Ende, das nicht unbedingt zwingend, aber doch befriedigend ist. Wie es mittelfristig mit dem deutschen Impro-Film weitergehen wird, muss sich zeigen, das unkontrollierte, ungezähmte, dass diese Regisseure etwa vom extrem stilisierten der so genannten Berliner Schule unterscheidet, ist jedoch ein Aspekt, der dem deutschen Film gut zu Gesicht steht.
 
Michael Meyns