Under The Tree

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Mehr Drama als Komödie ist Hafsteinn Gunnar Sigurðssons boshafter Film über die Abgründe menschlichen Handelns. Aus einer kleinen Differenz über einen Baum, der seinen Schatten auf die nachbarliche Terrasse wirft, und aus einer gescheiterten Beziehung entwickelt sich eine bizarre Dramödie mit überraschenden Entwicklungen. Dabei geht es um Konfrontation und Kommunikation, um Macht und Vergeltung, alles hübsch verpackt in eine isländische Vorstadtidylle … ganz schön fies!

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

Originaltitel: Undir trénu
Island, Dänemark, Polen, Deutschland, 2017
Regie: Hafsteinn Gunnar Sigurðsson
Drehbuch: Huldar Breidfjord und Hafsteinn Gunnar Sigurðsson
Darsteller: Sigurður Sigurjónsson, Edda Björgvinsdottir, Steinþór Hróar Steinþórsson, Lára Jóhanna Jónsdóttir, Þorsteinn Bachmann, Selma Björnsdóttir, Dóra Jóhannsdóttir, Sigríður Sigurpálsdóttir Scheving
89 Minuten
Verleih: farbfilm Verleih
Kinostart: 16. Mai 2019

FILMKRITIK:

Agnes setzt Atli vor die Tür. Der Grund: ein selbstgedrehter Porno, der ihn beim Sex mit der Ex zeigt, und Agnes hat ihn dabei erwischt, wie er sich den Film ansieht. Als ob das alles nicht schon peinlich genug für Atli ist, folgt auch noch die volle Breitseite inklusive Gesprächsverweigerung, neuem Türschloss und dem Verbot, die gemeinsame Tochter zu sehen. So zieht der unglückliche Mann wieder bei seinen Eltern ein, die eigentlich zurzeit ganz andere Sorgen haben. Ihr Streit mit den Nachbarn über einen Baum, der einen unerwünscht großen Schatten aufs Nebengrundstück wirft, eskaliert immer mehr. Während die beiden Ehemänner Gesprächsbereitschaft signalisieren, befehden sich die beiden Frauen immer offener. Den verbalen Attacken folgen merkwürdige Zwischenfälle. Über Nacht werden Autoreifen zerstochen, mysteriöse Gartenzwerge tauchen auf und recken ihre nackten Hinterteile in die Luft, es wird ein Einbruch begangen, eine Katze verschwindet und Kameras werden montiert. Doch damit ist noch lange nicht Schluss. Sowohl der Rosenkrieg als auch der Nachbarschaftskampf eskalieren, und bald wird klar, dass es nicht mehr um Recht oder Unrecht geht, sondern um Rache.
 
„Man kann doch über alles reden …“ – Hafsteinn Gunnar Sigurðsson führt diesen Satz ad absurdum. In seiner bitteren, pechschwarzen Dramödie erzählt er zwei parallele Geschichten. Beide erzählen vom Scheitern der zwischenmenschlichen Kommunikation, sie begegnen sich an manchen Stellen, driften wieder auseinander und werden schließlich zur Grundlage eines tragischen Finales. Dabei führt scheinbar logisch eins zum anderen und steigert sich dabei immer weiter. Anfangs wirkt das Szenario noch komisch bis skurril, so wenn Atli, der angesichts des Pornos erstmal alles abstreitet, das Notebook zuklappt und dabei den zweiten Bildschirm übersieht, auf den das Bild gewechselt hat, wo er immer weiter Sex mit einer Frau hat, die Agnes sofort wiedererkennt. Doch im Verlauf des Films erwächst aus der satirisch scharfen Beobachtung eine grausame Tragik, und Hafsteinn Gunnar Sigurðsson beherrscht das Spiel mit Erwartungen und Klischees perfekt. Er führt sein Publikum in die Irre und baut Spannungsmomente auf, die er unerwartet auflöst. Seine Story hat so viele Haken und Häkchen wie Island Geysire, hinter jeder Ecke lauert ein neuer Schlenker, und die Geschichte entwickelt in ihrer Folgerichtigkeit und erzählerischen Ruhe eine ebenso überraschende wie faszinierende Dynamik – in etwa vergleichbar mit dem berühmten Autounfall, der scheinbar in Zeitlupe geschieht, während man hilflos danebensteht. Das hat dann mit einer Komödie im klassischen Sinn nur noch sehr wenig zu tun, obwohl manche Pressestimmen zu dem viel gefeierten Film dies suggerieren. Den meisten wird das Lachen im Halse stecken bleiben, auch wenn die Ausgangssituation viel von dem skurrilen Humor hat, den man aus isländischen Produktionen wie „Gegen den Strom“ kennt und der sich vielleicht am besten mit „knorrig isländisch“ bezeichnen lässt.
 
Das Thema an sich ist von universeller Bedeutung. Aus einem Nachbarschaftsstreit wird eine tragische Fehde, aus einer enttäuschten Liebe wird ein Trennungsdrama. Die Machtpositionen sind eindeutig definiert. Hier regieren die Frauen, die Männer müssen sich unterwerfen, sie sind nur das Material, mit dem die Frauen ihre Herrschaft besiegeln und verfügen weder über die Mittel noch Möglichkeiten, um den jeweiligen Kampf im allseitigen Interesse oder womöglich zur Zufriedenheit der Frauen zu beenden. Ein interessantes und boshaftes Beziehungsbild wird hier deutlich: Die Männer sind abhängig von den Frauen. In ihrem Bestreben, es den Frauen recht zu machen, verschlimmern sie die Situation mehr, als sie zu verbessern. Private Beziehungsstörungen werden auf diese Weise zu öffentlichen Problemen. Hinter dem zerstörerischen Verhalten der drei Frauen stecken unverarbeitete Enttäuschungen, unausgesprochener Kummer oder, wie im Fall von Atlis Mutter Inga, die Trauer um ein Kind. Psychologisch durchdacht und dramaturgisch geschickt zeigt Hafsteinn Gunnar Sigurðsson das extreme Bild einer bürgerlichen Wohlstandsgesellschaft, in der ein Anstupser genügt, damit hinter der kultivierten Maske das Tier sichtbar wird. Und dieses Tier ist alles andere als freundlich, es ist barbarisch. Es wird zu jeder List greifen, um ans Ziel zu gelangen, und es wird nicht eher ruhen, bis der Feind vernichtet ist. Mit hämmerndem Percussionsound oder dramatischen Kontrabasstönen und in ironischen Bildern, zum Beispiel aus der Vogelperspektive, unterstreicht Sigurðsson sowohl visuell als auch akustisch seine fiese These vom Kampf der Geschlechter und vom Untergang der Zivilisation, die alle Freiheiten nutzen könnte, aber an nicht ausgelebten Sehnsüchten und unausgesprochenen Worten kaputtgeht. Aus vernunftbegabten Menschen werden rachedurstige Kreaturen, die ihren Verstand dafür einsetzen, anderen zu schaden. Dabei richten sie sich zugrunde. Das hat schon einen gewissen Zynismus und zeugt von einem sehr herben Humor, der in seiner verstörenden Wirkung ganz gut zum Zeitgeist passt.
 
Gaby Sikorski