Vox Lux

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Unverhofft zum Popstar: „Vox Lux“, der zweite Spielfilm des US-Amerikaners Brady Corbet („The Childhood of a Leader“), erforscht die Mechaniken der Unterhaltungsindustrie und beschreibt, so behauptet es der Abspann, ein für das 21. Jahrhundert exemplarisches Porträt. Seine hochfliegenden Ambitionen fallen dem Regisseur manchmal auf die Füße. Verglichen mit Filmen wie „A Star Is Born“ ist Corbets Blick auf die Schattenseiten des Ruhms allerdings spürbar facetten- und ideenreicher.

Webseite: voxlux.kinostar.com

USA 2018
Regie & Drehbuch: Brady Corbet
Darsteller: Raffey Cassidy, Natalie Portman, Stacy Martin, Jude Law, Jennifer Ehle, Christopher Abbott, Logan Riley Bruner, Maria Dizzia, Meg Gibson, Daniel London, Willem Dafoe
Länge: 114 Minuten
Verleih/Vertrieb: Kinostar Filmverleih
Kinostart: 25.07.2019

FILMKRITIK:

Am Anfang steht ein Gewaltakt, ein plötzlicher Einbruch des Grauens in den schulischen Alltag der 13-jährigen Celeste (Raffey Cassidy). Ein junger Mann stürmt ihr Klassenzimmer und richtet ohne Umschweife ein Blutbad an, das Celeste schwer verletzt überlebt. Bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer tritt die Teenagerin gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Eleanor (Stacy Martin) vor die Anwesenden und singt ein von den beiden selbst geschriebenes Lied, das in Windeseile zu einer Hymne für die Tragödie avanciert. Obwohl die Spuren des Amoklaufs bei Celeste noch immer sichtbar sind, klopft schon bald die Musikbranche in Gestalt eines umtriebigen Managers (Jude Law) an, der die Schülerin durch den gefährlichen Dschungel der unerwarteten Berühmtheit geleiten will.
 
Dass Corbet große Ansprüche verfolgt, belegt schon sein eher unkonventioneller struktureller Ansatz. „Vox Lux“ präsentiert sich als fiktive Biografie, die in bedeutungsschwanger betitelte Kapitel unterteilt ist. Immer mal wieder meldet sich ein in der englischen Fassung von Willem Dafoe gesprochener Erzähler zu Wort, der Entwicklungen zusammenfasst, weiterführende Erläuterungen gibt und gelegentlich auch ins Innere der Hauptfigur schaut. Dieser Kniff mag etwas bequem erscheinen, hat aber mit Blick auf den Porträtcharakter des Films durchaus seine Berechtigung.
 
Eine Geschichte, wie sie Corbets zweite Regiearbeit entblättert, hat es im Kino bereits oft gegeben. Und doch erscheint Celestes Weg erfrischend anders. Spannend ist vor allem, dass ihr Aufstieg untrennbar mit einem schrecklichen Ereignis verbunden ist. Bei der Protagonistin handelt es sich nicht um eine unbeschwerte Jugendliche, die plötzlich ins Rampenlicht tritt, sondern um ein traumatisiertes Mädchen, das nicht die Zeit bekommt, das Erlebte zu verarbeiten. Celeste steht mit ihrem Lied für neue Hoffnung, dient gleichzeitig aber auch als Projektionsfläche für die seltsame Faszination, die blutige Gewalttaten auf viele Menschen ausüben.
 
Ihren Einstieg in die professionelle Musikwelt beschreibt „Vox Lux“ im Abschnitt mit dem Namen „Genesis“, der in den Jahren 2000 und 2001 spielt. Schon hier offenbaren sich die zerstörerischen Reize des Popgeschäfts, denen Celeste mehr und mehr erliegen wird. Langsam wandelt sich die einst gläubige Teenagerin zu einer Kunstfigur, die irgendwann in schriller Aufmachung durch ihr erstes Video heizt. Das innige Verhältnis zu ihrer eigentlich viel talentierteren Schwester bekommt erste kleine Risse – womit Corbet den Grundstein für einige aufwühlende Konfrontationen im Folgekapitel legt, das als „Regenisis“ firmiert und in das Jahr 2017 springt.
 
Nachdem zuvor Raffey Cassidy die junge Celeste eindringlich verkörpert hat, entert in der Rolle der 31-jährigen Sängerin nun Natalie Portman die Bühne. Die für ihre Toure-de-Force-Darbietung in „Black Swan“ mit einem Oscar prämierte Aktrice spielt die ältere Celeste als affektierte, rastlose, ständig große Gesten bemühende Diva, die einige Skandale und Karriereknicke hinter sich hat – und nun mit einem neuen Album ein Comeback einläuten will. Zu einem der interessantesten Einfälle gehört die Besetzung ihrer eigenen, von Eleanor großgezogenen Tochter Albertine mit Jungdarstellerin Cassidy, die folglich in allen wichtigen Teilen des Films zu sehen ist.
 
Portmans exaltierte Performance ist fraglos fulminant, überlagert zuweilen aber auch ein wenig die reizvollen Reflexionen des Drehbuchs. Die Geltungssucht von Terroristen nimmt „Vox Lux“ ebenso ins Visier wie die in der heutigen Celebrity-Kultur grassierende Haltung, jeder Fan habe ein permanentes Anrecht auf ein Bild oder ein Autogramm eines Stars. Dass es private Momente für einen Prominenten nicht mehr zu geben scheint, zeigt eine einprägsame Restaurantszene, in der Celeste in Anwesenheit ihrer Tochter die Nerven verliert.
 
Nicht alle angeschnittenen Themen werden angemessen tiefgreifend verhandelt. Das Drama bietet jedoch viele Ansatzpunkte für weiterführende Diskussionen und fordert den Zuschauer stets aufs Neue heraus. Sei es mit ungewöhnlich langen Szenen wie der spektakulären Pop-Show ganz am Ende. Oder mit eigenwilligen formalen Entscheidungen: Wechseln im Bildverhältnis, Zeitraffer-Sequenzen und einer manchmal geisterhaften Kamera. Auch wenn nicht jedes Puzzleteil stimmig sein mag und einiges leicht prätentiös daherkommt – der Film und seine nicht gerade leicht konsumierbare Geschichte über den Fluch des Ruhms lässt einen auch Tage nach dem Kinobesuch noch an Celeste und ihr ereignisreiches Leben denken.
 
Christopher Diekhaus