Was gewesen wäre

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Florian Koerner von Gustorf inszeniert sein Regiedebüt ganz undramatisch als kleine und spröde Alltagsgeschichte auf zwei Zeitebenen nach dem Drehbuch des Romanautors Gregor Sander, das die Erwartungen ans Kino gelegentlich unterläuft. Zumindest glänzen die beiden Hauptdarsteller Christiane Paul und Ronald Zehrfeld als frisch verliebtes Paar, das plötzlich mit einer unverarbeiteten Jugendromanze und mit der deutsch-deutschen Vergangenheit konfrontiert wird.

Webseite: www.WasGewesenWaere.de

Deutschland 2019
Regie: Florian Koerner von Gustorf
Drehbuch: Gregor Sander
Darsteller: Christiane Paul, Ronald Zehrfeld, Sebastian Hülk, Leonard Kunz, Mercedes Müller, Lena Urzendowsky, Barnaby Metschurat, Matti Schmidt-Schaller, Tamás Lengyel, Erika Marozsán
90 Minuten
Verleih: farbfilmverleih
Kinostart: 21.11.2019

FILMKRITIK:

Die erste gemeinsame Reise ist in der Paarbeziehung so etwas wie die Nagelprobe. Für Astrid und Paul gilt das noch mehr als für andere, denn die beiden sind schon Ende vierzig und erst seit zwei Monaten zusammen. Ihr Ziel ist Budapest – man wohnt standesgemäß im „Gellert“, dem traditionsreichen Luxushotel. Und dort trifft die Ärztin Astrid ganz unerwartet auf ihre Jugendliebe Julius, mit dem sie zu DDR-Zeiten ebenfalls in Budapest war. Julius ist mit seinem Halbbruder Sascha in Budapest – beide betreiben eine Galerie in Hamburg. Auf einer Künstlerparty bei Berlin, die sie mit ihrer Freundin Jana besuchte, verknallten sich Astrid und Julius. Er war so etwas wie ein Exot, weil Sascha im Westen lebte. Später flüchtete Jana nach West-Berlin, dann holte Sascha Julian über Jugoslawien nach Hamburg. Astrid blieb in der DDR zurück. Das Wiedersehen mit Julius weckt alte Erinnerungen und stellt schließlich auch die Beziehung zu Paul infrage.
 
Der gleichnamige Roman von Gregor Sander, der hier sein erstes Drehbuch präsentiert, bildet die Vorlage für das Regiedebüt von Florian Koerner von Gustorf, der bisher als Produzent von anspruchsvollen Filmen mit politischer Brisanzbekannt wurde: „Transit“ (2018), „Barbara“ (2012) und „Jerichow“ (2008) gehören dazu. Für die Hauptrollen, Astrid und Paul heute, konnte er Christiane Paul und Ronald Zehrfeld gewinnen – ein echter Glücksgriff, denn die beiden verfügen über genau die schauspielerischen Mittel, um die eher spröden Dialoge von Gregor Sander mit Leben zu füllen. Bei den beiden stimmt die Chemie, sie lieben und sie streiten sich, dass es eine wahre Freude ist. Dabei zeigen sie altersgerechte Zicken und Marotten, die ihre Charaktere noch überzeugender machen. So versucht Astrid ihren frisch verliebten Partner mit ärztlichem Besserwissertum zu erziehen – immerhin hat sie ihn anlässlich seines Herzinfarkts auf der kardiologischen Intensivstation kennen gelernt. Der scheinbar so abgebrühte Paul hingegen erweist sich als unerwartet eifersüchtig angesichts des sportlich schlanken Ex-Lovers seiner Liebsten. Christiane Paul, grazil und elegant wie eh und je, überrascht mit schnellen Wechseln zwischen mädchenhaftem Übermut und klimakterischer Verkniffenheit, während Ronald Zehrfeld in seinem Teddybärencharme einen trägen Gewohnheitsmenschen gibt, der sich angesichts der neuen Liebe immerhin zu gentlemanmäßiger Beflissenheit aufrafft … und dennoch nicht den gewünschten Erfolg erzielt.
 
Doch der Film spielt auf zwei Zeitebenen, und für die Story, die vor mehr als 30 Jahren in der DDR beginnt, arbeitet Florian Koerner von Gustorf mit Darstellern, die ihren älteren Ausgaben zwar auffallend ähnlich sind, aber leider vom Drehbuch und von der Regie öfter mal im Stich gelassen werden. So ist es kaum verständlich, warum Astrid und Julius sich verlieben. „Sie sind eben jung …“ als Begründung verfängt hier nicht. Der 1985erJulius (Leonard Kunz) wirkt zu Beginn wie ein verpeilter Milchbubi, Mercedes Müller als junge Astrid pendelt ebenfalls richtungslos vor sich hin. Hier wäre – trotz des Anspruchs, eine alltägliche Geschichte unauffällig zu entwickeln – ein bisschen Mut zu großen Bildern angebracht. Fürs Kino darf es schon ein bisschen mehr sein: visuelle Dramatik anstelle von Behauptungen, ein paar flotte Dialoge, Konflikte, Geheimnisse … Doch davon ist kaum etwas zu sehen oder zu spüren. Trotzdem wirkt die Vergangenheit bis heute nach, so dass sich die Frage stellt: Was hat Astrid bloß, nach all den Jahren? Warum verkrümelt sie sich sofort, wenn sie Julius sieht? Da wird dann so etwas wie Spannung aufgebaut, aber eigentlich bleibt alles klein. Ganz anders läuft die Sache bei Jana (Lena Urzendowsky), die lediglich als junges Mädchen auftritt und ihrer Figur deutlich mehr Substanz geben darf. Sie hat eine interessante Geschichte, die außerdem ein wenig geheimnisvoll ist, denn sie plant ihre Flucht, weiht Astrid ein und hält von West-Berlin aus den Kontakt zu Jana, aber auch zu Julius und Sascha, der seinen Bruder mit einem Wohnmobil aus Jugoslawien holt. Diese Flucht sieht man nicht, die Brüder fahren 30 Jahre später gemeinsam mit Astrid, Paul und ihren ungarischen Freunden ein paar Stationen ab.
 
Immerhin bekommt der Film, der zudem einige handwerkliche Mängel aufweist (u. a. unpassende Requisiten), zum Ende hin noch eine klare Richtung, wenn es um die politischen Zustände im heutigen Ungarn geht. Hier zeigt sich dann zumindest am Schluss, was der Film insgesamt hätte sein können: eine Auseinandersetzung mit der Entscheidung zwischen Bleiben oder Weggehen, zwischen Aufgabe, Kampf und Resignation. Diese Frage stellt sich in Ungarn heute wieder, was der Film erfreulich klar thematisiert.
 
Gaby Sikorski