Freies Land

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Ein taffer Thriller aus dem Nachwende-Deutschland: Zwei sehr unterschiedliche Kommissare ermitteln gemeinsam im Wilden Osten. Sie finden die Spur eines Serienmörders und geraten dabei selbst in Gefahr. Die schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarsteller und angemessen lakonische Dialoge, großartige Bilder und gut dosierte Spannungsmomente sind die positiven Aspekte, diverse logische Schwächen und insgesamt einige Längen stören das Kinoerlebnis ein wenig. Trotzdem bleibt der Film sehenswert und erhebt sich dank seiner professionellen Machart und einer interessanten Geschichte weit über übliche TV-Produktionen.

Webseite: www.FreiesLand-Film.de

Deutschland 2019
Regie & Kamera: Christian Alvart
Drehbuch: Christian Alvart, Sigi Kamml
Darsteller: Felix Kramer, Trystan Pütter, Nora Waldstätten, Ben Hartmann, Ludwig Simon
Länge: 127 Minuten
Verleih: TELEPOOL
Kinostart: 9. Januar 2020

FILMKRITIK:

Ein Kommissar aus dem Westen, Patrick Stein, und sein Kollege aus dem Osten, Markus Bach, sollen im Oderbruch den Fall zweier vermisster Schwestern aufklären. Die Gegend ist dünn besiedelt, die Landschaft ist karg und nass, es gibt nur ein paar heruntergekommene Dörfer – die Bezeichnung „Einöde“ wäre für diese gottverlassene Region noch deutlich zu positiv. Hier geht man nicht hin, hier geht man weg, und so sind sich auch die Einheimischen einig darin, dass die beiden Mädchen einfach abgehauen sind, nach Berlin oder irgendwohin in den Westen, wo man gutes Geld verdienen kann und wo was los ist. Die beiden Polizisten werden hellhörig, als sie erfahren, dass es noch weitere Mädchen gibt, die verschwunden sind. Könnte es sich hier um mehr handeln als um einen Vermisstenfall? Doch die Ermittlungsarbeit ist mühsam. Stein und Bach müssen um jede einzelne Information kämpfen, denn wer hier lebt, redet nicht gern und schon gar nicht mit Fremden. Als zwei schwer misshandelte Leichen gefunden werden, sind die Kommissare sicher, dass sie einem Serienmörder auf der Spur sind, der vermutlich schon auf der Suche nach einem neuen Opfer ist.
 
Die Mauer, die das Land geteilt hat, ist gefallen, doch die Mauern des Schweigens sind geblieben, und eine Lösung dafür gibt es nicht. So oder ähnlich könnte das Motto des Films lauten, der über weite Strecken mit einer wunderbaren Thriller-Atmosphäre überzeugt. Eine latente Bedrohung liegt über der Landschaft, die geradezu furchterregend uninteressant ist. Düster raunende Töne (Komponist: Christoph Schauer) untermalen die in Sepiatönen gehaltenen Bilder, in denen sich der Winter an der Oder von seiner trübsten Seite zeigt. In dieser Wildnis findet Christian Alvart (Drehbuch, Regie und Kamera) ausdrucksstarke Motive für seinen taffen Krimi, der sich auf diese Weise vom Fernsehdurchschnitt abhebt. Also schon mal kein Tatort-Klon, sondern ein kerniger Kinofilm. Als Vorlage diente Christian Alvart der hochdekorierte Krimi LA ISLA MÍNIMA – MÖRDERLAND (2014) von Alberto Rodríguez. Christian Alvart verlegt die Handlung aus dem Post-Franco-Spanien der 70er Jahre ins Nachwende-Deutschland und holt sich mit Felix Kramer und Trystan Pütter zwei renommierte Hauptdarsteller, die mit hohem physischen Einsatz und nach bewährtem Muster das gegensätzliche Polizisten-Duo spielen: zwei, die sich nicht leiden können, aber dennoch zusammenarbeiten müssen. Die Rollen „guter Bulle – böser Bulle“ scheinen anfangs klar definiert, werden aber immer wieder hinterfragt und gebrochen. Trystan Pütter spielt den besonnenen Einzelgänger Patrick Stein, der ständig auf der Suche nach einem funktionsfähigen Telefon ist, um mit seiner hochschwangeren Frau zu sprechen. Felix Kramer ist sein trink- und handfester Kollege aus dem Osten. Dieser Markus Bach ist einer, der mit den Leuten sprechen kann und dem sie gern etwas erzählen, und falls nicht, hilft er mit Gewalt nach. Zusammen mit diesen beiden interessanten Charakteren spinnt Christian Alvart sein Netz aus Fakten, falschen Spuren, Widersprüchen und Folgerungen. Doch leider wird das anfangs solide Gerüst im Verlauf der Handlung immer wackeliger, die Spannung weicht angesichts der zerdehnten Geschichte einer diskreten Ermattung. 128 Minuten können lang werden, auch wenn die visuelle Qualität ihren kraftvollen Impetus behält. Zusätzlich behindern einige Ungereimtheiten im Drehbuch den logischen Handlungsfluss, gar nicht zu reden von der – milde gesagt – sehr ungewöhnlichen Dienstauffassung der beiden Kommissare, deren Verhalten manchmal an Sheriffs in B-Western aus den 50er Jahren erinnert. Warum die wunderschöne, elfengleiche Nora Waldstätten, die keinen Tag älter aussieht als 28 1/2, hier unbedingt die Mutter der beiden vermissten Teenager spielen muss, ohne dass thematisiert wird, wie und warum dieses zauberhafte Geschöpf, das wie aus einer anderen Welt zu kommen scheint, ausgerechnet im Oderbruch gelandet ist, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Die Dialoge sind hingegen angemessen spröde und lakonisch, die beiden Kommissare sind keine Freunde großer Worte, und die Landbevölkerung ist alles andere als kommunikativ, sondern eher zurückhaltend bis feindselig. Vieles ist wirklich gut beobachtet: die Tristesse des Landlebens Anfang der Neunziger, die Situation der jungen Leute angesichts der Chancenlosigkeit und ihre Suche nach Auswegen sowie die generelle Unsicherheit nach der Wende-Euphorie – Christian Alvart weist in seinem Thriller 30 Jahre nach dem Fall der Mauer auf die Wunden und Narben aus der Vergangenheit, von denen viele noch nicht verheilt sind.
 
Gaby Sikorski