Greta

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Frankreichs Ausnahmeschauspielerin Isabelle Huppert als unberechenbare Stalkerin in einem Psychothriller von Oscar-Preisträger Neil Jordan („The Crying Game“): Auf dem Papier klingt „Greta“ nach exquisiter Spannungsunterhaltung. Tatsächlich entfesselt der 2018 beim Filmfest von Toronto uraufgeführte Reißer aber eine banale, an Genre-Plattitüden reiche Auseinandersetzung, die auch die lustvoll boshafte Performance Hupperts nicht nachhaltig veredeln kann.

Webseite: www.capelight.de/greta

USA/Irland 2018
Regisseur: Neil Jordan
Drehbuch: Neil Jordan, Ray Wright
Darsteller: Chloë Grace Moretz, Isabelle Huppert, Maika Monroe, Colm Feore, Stephen Rea
Länge: 98 Minuten
Verleih: capelight pictures, Vertrieb: Central
Kinostart: 16.05.2019

FILMKRITIK:

Ehrlich währt am längsten, sagt der Volksmund. Im Fall der jungen Kellnerin Frances (Chloë Grace Moretz) scheint es mit dieser Weisheit jedoch nicht weit her. Als sie eines Tages in der New Yorker U-Bahn eine Handtasche mit Bargeld und Ausweispapieren findet, haut sie die Kohle nicht auf den Kopf, wie es ihre Mitbewohnerin Erica (Maika Monroe) vorschlägt, sondern übergibt den Fund brav und artig der Besitzerin. Die alleinstehende Ausländerin Greta (Isabelle Huppert) lädt Frances auf eine Tasse Kaffee ein, und die beiden altersmäßig weit auseinanderliegenden Frauen tauschen schließlich ein paar Nettigkeiten aus. Schon bald entwickelt sich zwischen ihnen eine Freundschaft, für die Erica wenig Verständnis zeigt, die Frances allerdings gut zu tun scheint. Immerhin macht ihr der Tod ihrer Mutter nach wie vor schwer zu schaffen. Bei einem ihrer Treffen entdeckt sie zu ihrem Entsetzen in einem Schrank diverse präparierte Taschen, die lediglich einen Schluss erlauben: Offenbar hat Greta nicht zum ersten Mal versucht, Bekanntschaften zu forcieren. Frances wendet sich daraufhin von ihrer neuen Freundin ab, ohne zu ahnen, dass diese äußerst allergisch auf Zurückweisungen reagiert.
 
Das von Neil Jordan und Ray Wright („The Crazies – Fürchte deinen Nächsten“) zusammengebastelte Drehbuch reißt zwar die Hintergründe der beiden Protagonistinnen an, kann daraus aber keine besonders spannenden, vielschichtigen Charakterporträts formen. Vor allem Frances tritt als arg naive, sich in manchen Augenblicken himmelschreiend unbedarft verhaltende Pappfigur in Erscheinung und trägt so nicht gerade zur Glaubwürdigkeit des Geschehens bei. Gretas Wahnsinn wiederum, der in Hupperts Darbietung ein ums andere Mal ein Frösteln hervorruft, wird viel zu früh viel zu deutlich ausbuchstabiert. Trotz ihres engagierten Spiels bleibt die gefeierte Französin gefangen in einer Psychopathen-Rolle ohne reizvolle Ecken und Kanten. Vereinzelt blitzen Überlegungen zur Einsamkeit in der Großstadt auf. Wirklich ernsthaft verfolgen der Regisseur und sein Koautor diese Spur aber nicht und versäumen es dadurch, der Erzählung etwas mehr Substanz zu geben.
 
Momente des Nervenkitzels – etwa ein herrlich bizarrer Ausraster im Restaurant – werden leider regelmäßig von überexpliziten Dialogen und einer dick auftragenden Inszenierung torpediert. Derart übertrieben, wie Jordan manche Schocks arrangiert und mit anschwellender Musik untermalt, hat es fast den Anschein, als wolle er die Muster des Thriller- und Horrorkinos persiflieren. In eine ähnliche Richtung deutet auch der mit grellen Pointen gespickte Plot-Verlauf, der mitunter sogar ins Trashige kippt. Für eine unterhaltsame Satire ist „Greta“ allerdings eindeutig zu banal und zu wenig gewitzt.
 
Kinogänger, die sich angesichts der Mitwirkung Hupperts ein raffiniert-doppelbödiges Vergnügen im Stil von Paul Verhoevens Romanadaption „Elle“ versprechen, dürften schwer enttäuscht werden. Konnte die Mimin dort in einem irritierenden, herausfordernden, unbequemen Part brillieren, verlangt ihr „Greta“ bei weitem nicht ihr ganzes Können ab. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, was genau Huppert überhaupt dazu bewogen haben könnte, in Jordans schablonenhaftem Stalking-Film mitzuwirken. Vollkommen verschenkt wird darüber hinaus das Talent des irischen Charaktermimen Stephen Rea, der einen für die Handlung im Grunde überflüssigen, seltsam tumb auftretenden Privatermittler verkörpert.

Christopher Diekhaus