Mishima

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Er war literarischer Popstar, gefeierter Schauspieler, politischer Aktivist – und ging für seine Überzeugungen in den Tod. Die Rede ist vom japanischen Ausnahmekünstler Yukio Mishima. 1985 drehte Paul Schrader das stark fiktionalisierte Biopic „Mishima“, das sich in vier Kapiteln dem Leben und Wesen Mishimas widmete. Präzise und hingebungsvoll schuf er eine der bis heute außergewöhnlichsten, kraftvollsten Film-Biografien. Fast 35 Jahre nach seiner Uraufführung in Cannes erlebt der Klassiker als restaurierter Director’s Cut ein Come-back auf der Leinwand.

Webseite: rapideyemovies.de

Japan, USA 1985
Regie: Paul Schrader
Drehbuch: Paul Schrader, Leonard Schrader, Chieko Schrader
Darsteller: Ken Ogata, Masayuki Shionoya, Hiroshi Mikami, Junya Fukuda, Shigeto Tachihara
Länge: 120 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Kinostart: 28. November 2019

FILMKRITIK:

Yukio Mishima (Ken Ogata) gehört zu den wichtigsten japanischen Schriftstellern und Autoren des 20. Jahrhunderts. Wie kaum ein Zweiter brachte er in seinen Drehbüchern, Gedichten, Erzählungen und Romanen moderne und traditionelle Elemente zusammen. Auch thematisierte er in seinen Werken Sexualität, Gewalt, Tod und Politik – im Japan der 50er- und 60er-Jahre absolute Tabuthemen. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit war Mishima auch politischer Aktivist, der seine Anschauungen und politischen Ansichten über das eigene Leben stellte.

Es ist der 25. November 1970, als der damals 45-jährige Mishima mit seiner von ihm selbst gegründeten Privatmiliz nach Tokio fährt um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen: Er will, dass der Kaiser wieder Staatsoberhaupt wird. Außerdem verlangen er und seine Mitstreiter  eine Rückbesinnung auf die traditionellen japanischen Werte. Mishimas Appelle bleiben jedoch ungehört und die Aktion misslingt. Noch am gleichen Tag stirbt Mishima durch rituellen Selbstmord, indem er sich von einem Mitglied seiner Miliz enthaupten lässt.

1985 erwies sich Paul Schraders „Mishima“ als kolossaler Flop an den Kassen: Bei einem Budget von fünf Millionen Euro lag das weltweite Einspielergebnis bei gerade einmal 500 000 Dollar. Vielen dürfte die unkonventionelle Herangehensweise und komplexe Umsetzung Schraders zu sperrig gewesen sein. Und auch bei heutiger Betrachtung fallen vor allem die (inhaltliche) Vielschichtigkeit und die ungemein präzise Struktur des anspruchsvollen Films auf, der in einer Art Collage biografische und fiktive Sequenzen kunstvoll aneinanderreiht.

Wer sich allerdings diesem 120-minütigen, visuell berauschenden Drama voll und ganz hingibt, erlebt einen Kinoabend, der lange im Gedächtnis bleibt. Nicht zuletzt da Schrader mit den gängigen Sehgewohnheiten und dem klassischen Aufbau filmischer Biografien bricht: „Mishima“ ist nonlinear und mehrstufig aufgebaut. Schrader springt zudem zwischen den Zeitebenen und Romanen (der Film enthält gespielte Auszüge aus den Mishima-Werken „Der Tempelbrand“, „Kyōko no ie“ und „Unter dem Sturmgott“) wild hin und her – und er weist jeder Zeitlinie und jedem Roman eine eigene Farbgebung und Ästhetik zu.

So bleiben die Zeiten unterscheidbar und der Wechsel zwischen Romanauszügen und biografischen Elementen ebenfalls für den Zuschauer nachvollziehbar. Die Rückblenden etwa erscheinen in Schwarz-Weiß, während die in der Gegenwart (1970) spielenden Szenen in eher gebrochenen Farben gehalten sind und sich durch eine geringe Sättigung auszeichnen. Hinzu kommt, dass die von Schrader gewählten Romanauszüge natürlich nicht zufällig sind. Denn sie stehen exemplarisch für alle Schaffensphasen Mishimas: das Früh-, das mittlere und das Spätwerk. Und: In jeder fiktionalen Sequenz verrät Schrader etwas über den Porträtierten.

Das wird auf den ersten Blick zwar nicht immer deutlich. Wer sich aber ein wenig mit dem Leben des Schriftstellers befasst hat, erkennt im „Tempelbrand“ Mishimas Kritik an der „Verwestlichung“ und Modernisierung seiner japanischen Heimat. Und in den „Kyōko no ie“-Szenen steht die Selbstverliebtheit des Protagonisten für Mishimas eigenen, übersteigert-exzessiven Körper- und Muskelkult. Darüber hinaus verhandelt Schrader die weiteren Lebensthemen des begnadeten Künstlers in seinem Film, oftmals in Form unterschwelliger Hinweise und subtiler Andeutungen. Darunter Mishimas Liebe zur Kultur und Kunst Japans, seine Faszination für rituellen Selbstmord und die eigenen homosexuellen Neigungen.

Björn Schneider