Pre-Crime

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Das zunehmend alltäglich gewordene Bedrohungsszenario des Terrorismus hat längst zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz präventiver Sicherheitspolitik geführt. Immer komplexere Algorithmen werden in Programmen bemüht, um verdächtige Personen schon im Voraus herauszufiltern – nach Kriterien, die keiner öffentlichen Debatte zugänglich sind und sich in juristischen Grauzonen bewegen. Hochinformativ, wenn auch etwas zu sehr in einer Ästhetik der Reportage verhaftet, stellt „Pre-Crime“ die neuen Regierungstechniken zur Debatte und konfrontiert auf prägnante Weise mit ihren Konsequenzen.

Webseite: http://precrime-film.de

Deutschland 2017
Ein Dokumentarfilm von Monika Hielscher & Matthias Heeder
Filmlänge: 87 Min.
Verleih: Rise & Shine Cinema
Starttermin: 12.10.2017

FILMKRITIK:

Der Titel bezieht sich dabei auf den Science-Fiction Film „Minority Report“, verfasst von von Philip K. Dick, dessen Zukunftsvisionen bereits in vielfacher Weise gegenwärtig geworden sind. Waren es in seinem Entwurf noch drei hellsichtige, von der Polizei in Washington unter Drogen gesetzte Laborwesen, die mit ihren Visionen Verbrechen auf Datum und Uhrzeit genau vorhersagen konnten, so sind es heute Algorithmus-Strukturen, die, durch ihre globale Vernetzung, Datenzusammenhänge in noch nie dagewesener Dichte herstellen können.

Dank der immer höheren Rechenleistung unserer Maschinen navigieren die Behörden mittlerweile in Echtzeit durch unseren Lebensraum, welcher sich mittels der abgeschöpften und eingekauften Informationen bis hin zu intimen Details virtuell darstellt.
Was unter dem Schlagwort „Big Data“ bekannt geworden ist, wird in der von Monika Hielscher und Matthias Heeder hervorragend recherchierten Dokumentation in der konkreten Anwendung anschaulich – und sorgt immer wieder für Fassungslosigkeit.
Internationale Gesprächspartner aus Forschung, Wirtschaft und Institutionen der Strafverfolgung führen beispielweise vor, wie auf riesigen Bildschirmen Straßenzüge mit Farben und Daten markiert werden, um deren Risikopotential zu errechnen. Daran orientiert, werden Polizeistreifen gezielt eingesetzt, Personenkontrollen durchgeführt, deren Daten wiederum sofort in das System eingespeichert werden.

Noch deutlicher wird die Macht der Präventivpolitik bei der Vorführung eines Programms, das über Luftraumbilder die komplette Stadt in Echtzeit abbilden und speichern kann. Geschieht ein Mord, reist man quasi einfach „in der Zeit zurück“, zoomt wie bei Google Earth zum Tatort und verfolgt alle anwesenden Personen zu ihren Wohnorten. Minutenschnell gehen Haftbefehle an die Beamten.

Solche Praktiken sind im großen Ausmaß bislang in den USA und Großbritannien zur Anwendung gekommen, doch auch in Deutschland wird immer stärker virtuell nachgerüstet.

Zur besonderen Stärke des Films gehört dann, neben den Übertragungen auf die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik, auch die Perspektive der Opfer solcher Rasterfahndungen. Deutlich wird, dass derartige „Framings“ niemals wertfrei oder neutral sein können und rassistische Ausgrenzungsprozesse produzieren, indem sie zur Kriminalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen beitragen. So zeigen zwei schwarze Bürger jeweils ihren formellen Brief der Regierung, der sie darauf hinweist, nun auf einer überwachten „Heat List“ zu sein, da sie angeblich über bestimmte Daten mit Verbrechen in Verbindung gebracht werden können. Da reicht es auch schon, in der Facebook Freundesliste einen Rapper mit Gang-Affinität zu haben. Solche Briefe, mit der Androhung einer Strafverfolgung zu Verbrechen, deren mögliche Existenz über eine Datenschnittmenge berechnet wird, zeigen bereits an, welche Übergriffigkeit der Staat hier auf schleichende Weise, an den Bürgern vorbei, eingeführt hat.

Wie diese von der Netzkultur selbst reflektiert wird, zeigt wiederum ein Interview mit dem Computerspielentwickler von „Watch Dogs“ – eine gelungene Mischung von Gesprächspartnern also, deren teilweise sehr komplexe Ausführungen filmisch illustriert werden. Hier hätte dem Film allerdings eine etwas experimentellere Montage durchaus gutgetan. Zu sehr folgen Bild und Ton den üblichen Fernsehkonventionen, dramatische Kulissen und Musik wechseln sich mit Talking Heads ab. Unterbrochen wird dies immer wieder durch die Voice-Over Reflexionen von Matthias Heerder, der, vielleicht etwas zu bedeutungsschwer, am tosenden Meeresufer sitzt und seine Gedanken dabei für den Zuschauer auf Papier malt. Hier wirkt der Film stellenweise etwas zu didaktisch. Dass es sich dennoch lohnt, ihn im Kino zu sehen, lässt sich darüber festmachen, was er inhaltlich transportiert – und wie deutlich wird, dass im Anschluss gemeinschaftlich diskutiert werden sollte.
Im Kinofoyer ebenso wie im Parlament.

Silvia Bahl