Skin

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Nicht erst seit dem Vorfall in Charlottesville 2017 ist vom Vormarsch der Neo-Nazis in Amerika die Rede. Da kommt Guy Nattivs Film „Skin“ genau richtig, der von einem langjährigen Mitglied einer rechten Vereinigung erzählt, der sich nur langsam lösen kann. Vor allem die beeindruckende Performance von Jamie Bell macht das Aussteiger-Drama sehenswert.

Webseite: ascot-elite.de

USA 2018
Regie & Buch: Guy Nattiv
Darsteller: Jamie Bell, Bill Camp, Vera Farmiga, Danielle MacDonald, Mike Colter, Kylie Rogers
Länge: 110 Minuten
Verleih: Ascot Elite, Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 3.10.2019

FILMKRITIK:

Jahrelang war Bryon Widner (Jamie Bell) fester Teil der Hammer-Skins im amerikanischen Bundesstaat Ohio. Vom Anführer der Gruppe, Fred „Hammer“ Krager (Bill Camp) und dessen Frau Shareen (Vera Farmiga) wurde Bryon einst von der Straße geholt, in die Gemeinschaft aufgenommen und zu einer Art Ersatzsohn erzogen. Die Nähe zur Familie zeigt sich bei ihm nicht zuletzt in dutzenden Tattoos, die auch sein Gesicht fast vollständig bedecken.
 
Doch angesichts immer neuer Gewalttaten gegen Schwarze und muslimische Einwanderer beginnt Bryon langsam an seinem Leben zu zweifeln. Als er bei einem Musikfestival die dreifache Mutter Julie (Danielle MacDonald,) kennen lernt, scheint ein anderes Leben möglich. Doch der Ausstieg ist ein langwieriger, schwieriger Prozess, der Bryon erst mit Hilfe des schwarzen Aktivisten Daryle Jenkins (Mike Colter, „Luke Cage“) gelingt. Vor allem das Entfernen der zahllosen Tattoos ist eine schwierige, schmerzhafte Prozedur.
 
Immer wieder schneidet Guy Nattiv zu der Laserbehandlung, mit der nach und nach, Punkt für Punkt die Tattoos von Bryon Widners Körper und vor allem aus seinem Gesicht entfernt werden. Dieses äußerliche Loslösen von den Zeichen der Neo-Nazi-Szene spiegelt den langsamen Prozess der inneren Loslösung wider, der zu Beginn des Films schon im Gange ist. Um anzudeuten, wie der junge Bryon einst in die Szene reinrutschte, führt Nattiv erzählerisch etwas unbeholfen einen anderen jungen Typen ein, der von der Straße aufgelesen und langsam verführt wird. Ein wenig schlicht mutet das an, vom Entstehen des Hasses, vom Innenleben der Szene erfährt man wenig. Die Menschen in Bryons Umfeld, die Strukturen der Neo-Nazi-Szene in den von Arbeitslosigkeit geprägten Statten im mittleren Westen Amerikas werden kaum mehr als angedeutet, bleiben Fassade für die Geschichte Bryons.
 
Stattdessen konzentriert sich der Israeli Nattiv, der hier seinen ersten auf Englisch gedrehten Film vorlegt, auf den schwierigen Prozess des Ausstiegs. Zwar bleibt offen, warum es ausgerechnet diese Frau ist, die Bryon dazu veranlasst, sein bisheriges Leben zu überdenken. Wie manches andere muss man dies hinnehmen, ebenso wie den Wunsch Bryons, seine Familie hinter sich zu lassen, die ihn – wie er selber oft betont – gerettet hat. Was dabei hilft diese Drehbuchschwächen zu übersehen ist Jamie Bells Performance.
 
Mit ganzem Körpereinsatz, geschorenem Schädel und einem Gesicht, das großflächig mit martialischen Tattoos bedeckt ist, spielt sich Bell bisweilen in einen beeindruckenden Rausch aus Zweifeln und Selbsthass. Dass auch unter der harten Schale immer ein zartes, verletzliches Wesen zu erkennen ist, macht die Zerrissenheit Bryons spürbar und glaubwürdig. Ein wenig mehr Substanz hätte Guy Nattivs Drama gutgetan, ein größerer Versuch zu verstehen, warum junge Menschen in eine solche Szene abdriften können. So steht Jamie Bells beeindruckende Performance ein wenig losgelöst vom Rest eines allzu konventionellen Films.
 
Michael Meyns