Unser Saatgut – Wir ernten, was wir säen

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Die Dokumentation handelt nicht nur von einem Wunder - vom Saatgut als Geschenk der Natur, sondern ist selbst eines: als extrem interessante Zusammenstellung von praktisch allem, was aktuell mit Getreide und generell Kulturpflanzen zu tun hat. Dabei geht es auch um die Bedrohungen durch Gentechnologie, Pflanzengifte und Patente auf Saatgut wie um den weltweiten Kampf dagegen und mögliche Alternativen. Handwerklich ist der Film ebenfalls eine Meisterleistung: Die gelungene, abwechslungsreiche Mischung aus realen Bildern mit Interviewszenen, Animationen und Mikro- sowie Zeitlupen- und Zeitrafferaufnahmen bietet jede Menge Abwechslung - Infotainment vom feinsten!

Webseite: www.wfilm.de/unser-saatgut

Dokumentarfilm
USA 2016
Buch, Regie, Schnitt: Taggart Siegel, Jon Betz
Musik: Garth Stevenson, Benjy Wertheimer, Gaea Omiza River
94 Minuten
Verleih: W-film
Kinostart: 11. Oktober 2018

FESTIVALS/PREISE:

Green Planet Award – Rhode Island International Film Festival

Bester Dokumentarfilm – Nashville Film Festival

Publikumspreis – American Conservation Film Festival

Publikumspreis – San Diego International Film Festival

Bester Dokumentarfilm – Tutti Nello Stesso Piatto Festival

Bester Film – CMS Vatavaran Environment & Wildlife Film Festival India

Beste Kamera – United Nations Association Film Festival

FILMKRITIK:

Ein riesiger, alter Baum; eine Frau, die mit Pflanzen geschmückt auf unterschiedlich gefärbtem Saatgut ruht – Saatkörner, die vor der Kamera keimen, bedecken ihr Gewand … den Anfang des Films machen symbolische, wunderschöne Bilder, auch von verschiedenen Samenkörnern in unterschiedlichsten Formen und Arten. Die extreme Vergrößerung zeigt überraschende Strukturen, Zeitlupenaufnahmen nehmen Bewegungsabläufe auf …
 
Der Vorspann leitet über in die Vorstellung eines der Protagonisten des Films: ein Ex-Hippie, der zum Vorkämpfer einer Bewegung wurde, die Saatgut bewahrt. Das ist mittlerweile nötig geworden, denn von den Kulturpflanzen, die dem Menschen als Nahrung dienen können, z. B. Getreide, Gemüse und andere Feldfrüchte, sind bereits über 90 % verschwunden oder ausgestorben. Dabei geht es nicht nur darum, irgendwelche Samenkörner zu sammeln und dafür zu sorgen, dass sie keimfähig bleiben. Es geht um den Erhalt der Artenvielfalt und um die Verbreitung des Wissens dazu. Das Saatgut ist nicht nur Nahrungsgrundlage, sondern auch eine Basis menschlicher Zivilisation und Kultur. Dies findet Ausdruck in zahlreichen Ritualen, in denen Feldfrüchte und Saaten verehrt werden.
 
Die Präsentation des Themas, die auch historisch die Geschichte und Kultivierung bestimmter Feldfrüchte und Getreidesorten, wie Mais und Reis, betrachtet, geht über in eine aktuelle Bestandsaufnahme zu den unterschiedliche Arten von Bedrohungen, denen das Saatgut ausgesetzt ist: Klimawandel, veränderte Ernährungsbedingungen, aber vor allem die weltweite Kontrolle, die einige wenige Konzerne inzwischen über das Saatgut haben. Dadurch wurde der Boden für dramatische Entwicklungen bereitet: Da wird an einem der fruchtbarsten Orte der Welt, auf Hawaii, ganz offen und ohne Skrupel mitten in bewohnten Gebieten mit Pflanzengiften experimentiert. Bauern in Indien begehen reihenweise Selbstmord, weil sie sich durch die Umstellung auf Hybridsaatgut finanziell ruiniert haben. Doch überall wächst auch der Widerstand, und es formieren sich mehr und mehr Gruppen, die wieder unabhängig Landwirtschaft betreiben wollen und damit die Macht der Konzerne zu brechen, zu denen bekanntlich auch Monsanto/Bayer gehört. Die Aufdeckung der weltweiten Missstände ist jedoch keinesfalls das Hauptthema des Films. Hier wird nicht gejammert, die Schweinereien sind ja eigentlich ohnehin bekannt, hier werden die unterschiedlichsten Aspekte eines Themas aufgezeigt, beleuchtet und diskutiert.
 
Klar, einfach und anschaulich werden Begrifflichkeiten erklärt, oft mit Hilfe von Animationssequenzen in unterschiedlichen Techniken und Designs: Da geht es um transgene oder genetisch veränderte Pflanzen, um die inzwischen weitgehend gesetzmäßige Begründung von Patenten auf Saatgut, um die Geschichte und Bedeutung der Hybridsaaten und um die Bedeutung dieser Veränderungen für den Klimawandel und für die Ernährungssituation der Weltbevölkerung. Was ist Biodiversität und wofür ist sie wichtig? Zwischendurch werden schockierende Forschungsergebnisse präsentiert. So sind bereits 96 % der Artenvielfalt auf der Erde zerstört, vieles durch den Menschen in den letzten 50 Jahren. Von den ca. 30.000 essbaren Pflanzen wird lediglich ein Bruchteil noch genutzt – die derzeitige Ernährung der Weltbevölkerung beruht auf ca. 10 Pflanzen. Wer bisher wenig oder gar nichts über all das weiß, erhält hier also einen umfassenden Überblick.
 
Zu Wort kommen Angehörige indigener Völker, vor allem auf dem amerikanischen Kontinent, ebenso wie Mitglieder von Initiativen fast überall auf der Erde – auch die britische Wissenschaftlerin Dr. Jane Goodall ist dabei, die zur Besinnung auf die vorhandenen Ressourcen und zum verantwortungsvollen Umgang mit den Geschenken der Natur aufruft. Bekannte und unbekannte Naturforscher, Buchautoren, Landwirte stellen sich vor – besonders intensiv ist die Begegnung mit einer Inderin, die in einem Projekt zur biologischen Landwirtschaft gefunden hat und nun ihr Wissen weitergibt. Ein Biologe hat sich vorgenommen, essbare Pflanzen in der Wüste zu entdecken bzw. wiederzuentdecken. Dazu gibt es einige Aussteiger aus den berüchtigten Großkonzernen und ein paar Einzelkämpfer, die sich beruflich wie aus persönlichem Interesse mit dem Thema beschäftigen. Der Ernst der Lage wird dabei deutlich sichtbar: Ein Umdenken ist dringend erforderlich, und so gehören das letzte Viertel des Films dem Blick in die Zukunft, der von einem diskreten Optimismus getragen ist. Die Solidarität zwischen Betroffenen spielt dabei eine große Rolle, aber auch der Wille zum Neuanfang.
 
Dieses cineastische Highlight zu einem tatsächlich zukunftsrelevanten Thema präsentiert sich als sehr klug durchdachtes und sorgfältig durchdachtes wie gestaltetes Kinokunstwerk, dennoch gibt es keinen Schnickschnack. Alles hat einen Sinn, und trotz des ernsten Themas bleibt der Ton sachlich, freundlich und positiv. Die Sympathie der Filmemacher gehört eindeutig ihren zahllosen Heldinnen und Helden. Der Film endet mit einem Appell an das Publikum, sich ebenfalls für den Schutz und die Verbreitung von Saaten einzusetzen. Dieses Vorgehen erscheint ebenso konsequent wie sinnvoll angesichts einer Dokumentation, die ganz klar Stellung bezieht für eine Zukunft, in der Menschen auf der ganzen Welt die Chance haben sollten, ihre regionalen landwirtschaftlichen Ressourcen selbst zu nutzen. Denn letztlich geht es um die Weiterexistenz des Menschen, um Nahrung für alle und damit um den künftigen Umgang mit der Natur – um Demut, Achtung und Respekt gegenüber allem, was auf der Erde wächst, inklusive Menschen und Tieren. Und weil das alles so wichtig ist, endet auch dieser Text mit einem Appell: Möglichst viele Menschen sollten diesen Film sehen, der ein richtig großes Kinopublikum verdient.
 
Gaby Sikorski