Vom Bauen der Zukunft – 100 Jahre Bauhaus

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Architektur im Dienste des Menschen mit Kunst, Design und Handwerk zu vereinen war Ziel der legendären Bewegung. Selbst die Nazis schafften es nicht, das Bauhaus und seine radikal gesellschaftlich künstlerische Utopie vollständig auszulöschen. Architektur und Stil blieben wegweisend für spätere Jahrzehnte. Mit ihrer inspirierenden Doku gelingt es den beiden Filmemacher Thomas Tielsch und Niels Bolbrinker anlässlich des im nächsten Jahr bevorstehenden 100jährigen Jubiläums für das Bauhaus-Erbe zu begeistern. Konsequent zeigen sie auf, dass unsere Gesellschaft gestaltbar ist. Fesselnd spannen sie den Bogen vom berühmten Bauhausgebäude in Dessau zu visionären Projekten in lateinamerikanischen Favelas, von den Kursen der Bauhaus-Meister Wassily Kandinsky, Paul Klee und Oskar Schlemmer zur skandinavische Schule ohne Klassenräume.

Webseite: www.neuevisionen.de

Deutschland 2017 - Dokumentation
Regie & Drehbuch: Niels Bolbrinker, Thomas Tielsch
Darsteller: Torsten Blume, Rosan Bosch, Christian Mio Loclair, Stephen Kovats, Alfredo Brillembourg, Hubert Klumpner.
Länge: 90 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 26. April 2018

FILMKRITIK:

Die Bauhausbewegung steht für den Aufbruch in die Moderne schlechthin. Von Beginn an fragten Architekten und Künstler damals, angefangen vom Berliner Architekten Walter Gropius, bis hin zu Wassily Kandinsky oder Paul Klee: Wie zusammenleben? Was bedeutet „zusammenleben“ überhaupt? Wie lassen sich Räume so gestalten, dass alle Menschen am gemeinsamen Leben teilhaben? Der Anspruch: Jedes Produkt sollte nicht nur funktional sein, sondern auch preiswert und ästhetisch. Mit dem Bauhaus wurden Kunst, Design und Architektur politisch. Ihre Ideen wirken bis heute nach.
 
In der heißen Phase des 100jährigen Jubiläums, das im nächsten Jahr gefeiert wird, zeichnen die renommierten Filmemacher ein erhellendes Bild von dieser einmaligen Institution und Urzelle der modernen Architektur und des Designs. Vom revolutionären Ausbruch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Auflösung und Emigration, der beruflichen Weiterreise sowie der Verstrickung einiger Bauhäusler im nationalsozialistischen Deutschland. Sie greifen die Konflikte, die zur Verlegung des Bauhauses von Weimar nach Dessau führten, auf und die Auflösung der Schule in der Nazi-Zeit.
 
Selbst der von vielen als der „unbekannte Bauhaus-Direktor“ bezeichnete Hannes Meyer findet seinen Platz. Der Schweizer Architekt und Urbanist war den einen zu kommunistisch und den anderen zu bürgerlich. Vor allem aber spannen sie den Bogen vom berühmten Bauhausgebäude in Dessau zu visionären Projekten der Jetztzeit. Dabei zeigen sie eindrücklich wie architektonische Räume pädagogische Ideale fördern können. In der schwedischen Schule Vittra Södermalm existieren keine trennenden Klassenräume.
 
Für dieses offene, inspirierende Lernumfeld sorgte die dänische Architektin und Designerin Rosan Bosch mit ihrem Studio. Die Grenzen zwischen Lernen und Freizeit sind aufgehoben. Die Kinder und Jugendlichen lernen in dem farbenfroh umgebauten, historischen Gebäude in Stockholm sich Wissen selbstbestimmt anzueignen ohne Drill. Der Geist des Bauhauses in der gegenwärtigen Welt findet sich nicht zuletzt in einer lateinamerikanischen Favela in Venezuela. In San Agustín, Caracas verhalfen die beiden Architekten Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner den Menschen dort zu mehr Teilhabe am öffentlichen Leben.
 
Isoliert in ihrem Stadtteil am Rand der Metropole verbrachten sie täglich Stunden damit, steile Treppen hoch und runter zu klettern, um zur Arbeit oder in die Schule zu kommen. Während der Regenzeit waren viele dieser Wege überschwemmt und unmöglich zu benutzen. Die Lösung: Das Projekt Metro-Cabel, eine Seilbahn, verbindet nun das Barrio mit der City, gebaut von der österreichischen Firma Doppelmayr. Architektur kann Ungleichheit bekämpfen. Und Designer Van Bo Le-Mentzel zeigt mit seinem 24 Euro Stuhl, dass Leute mit wenig Geld sich Bauhausmöbel kreieren können. Und so gelingt es der inspirierenden Doku fesselnd in einer utopielosen Zeit für das Bauhaus-Erbe zu begeistern.
 
Luitgard Koch