Wenn Fliegen träumen

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Eine Psychologin und ihre suizidale Halbschwester begeben sich in Katharina Wackernagels Regie-Erstling auf einen abenteuerlichen, abgefahrenen Trip bis nach Skandinavien. Unterwegs lernen sie nicht nur einen vagabundierenden Spanier sondern ebenso sich selbst besser kennen. „Wenn Fliegen träumen“ ist ein teils arg konfus geratener, teils aber auch höllisch unterhaltsamer, schwarzhumoriger Film über Einsamkeit, Vergangenheits-bewältigung und die Vielfalt des Lebens.

Webseite: www.facebook.com/wennfliegentraeumen/

Deutschland 2018
Regie: Katharina Wackernagel
Darsteller: Thelma Buabeng, Nina Weniger, Niels Bormann, Johannes Klaussner, Tina Amon Amonsen
Länge: 81 Minuten
Kinostart: 27.06.2019
Verleih: RésisteFilm

FILMKRITIK:

Auf den ersten Blick scheinen die Psychotherapeutin Naja (Thelma Buabeng) und die suizidgefährdete Hannah (Nina Weniger) nicht viel gemeinsam zu haben. Doch sie sind Halbgeschwister, nur hatten sie mit ihrem Vater nie wirklich etwas zu tun. Als dieser verstirbt, machen sich die Zwei im alten Feuerwehrauto des Vaters auf den Weg nach Norwegen. Dort erwartet Naja und Hannah ein stattliches Erbe: das alte Fischerhaus des Verstorbenen. Was die Reisenden jedoch nicht ahnen ist die Tatsache, dass sie von einer skurrilen Reisegruppe verfolgt werden. Es sind die Patienten von Naja, die nichts von deren Reise wissen und sich große Sorgen um ihre Therapeutin machen. Der Beginn einer aberwitzigen Verfolgungsjagd.

„Wenn Fliegen träumen“ ist das Regiedebüt der Schauspielerin Katharina Wackernagel („Das Wunder von Bern“, „Der Baader-Meinhof-Komplex“). Beim Drehbuch wurde sie von ihrem Bruder Jonas Grosch unterstützt. Beim Titel ihres Films ließ sich Wackernagel vom Hollywood-Drama „Wenn Träume fliegen lernen“ mit Johnny Depp inspirieren. „Wenn Fliegen träumen“ entstand ohne Fördergelder und völlig unabhängig.

Dass der Film – im wahrsten Wortsinn – komplett in „Eigenregie“ entwickelt und mit wenig Geld finanziert wurde, ist dem unkonventionellen Mix aus Roadmovie, Groteske und Selbstfindungstrip tatsächlich die meiste Zeit über anzusehen. Ausstattung sowie Requisiten sind einfach und spärlich gehalten, viel scheint improvisiert, einige der Nebendarsteller agieren etwas hölzern und in Sachen Inszenierung sowie künstlerischem Ausdruck setzte sich Wackernagel kaum Grenzen. Dies zeigt sich etwa anhand einiger surrealer, meditativ anmutender Traumsequenzen, von denen eine den Film eröffnet.

Zwischendurch lässt Wackernagel (die selbst eine Minirolle im Film übernommen hat) die Figuren in drogen- und alkoholgeschwängerten Trips die Grenzen von Wahrnehmung und Selbstkontrolle ausloten. In einer dieser Szenen geht es ganz besonders psychedelisch und wirr zu, dies steht aber nicht stellvertretend für den Film. Im Gegenteil: Die meiste Zeit über folgen wir den beiden Frauen auf ihrem Weg durch den kühlen Norden Europas. Die von gegenseitigem Respekt und Achtung geprägte Beziehung der Beiden steht im Mittelpunkt des Werks und Wackernagel versteht es durchaus, unbewältigte Konflikte sorgsam herauszuarbeiten und Traumata offen zu legen.

Einige Etappen der Story wirken aufgesetzt und unnötig, hinzu kommt der ein oder andere unglaubwürdige Zufall, gerade bei der Verfolgung durch die Patienten. Dennoch: Bei der Zeichnung und Ausgestaltung der Charaktere setzt Wackernagel voll auf grotesken Humor und eine absichtliche Überzeichnung, die fruchtet. Aus der Schrullig- und Unterschiedlichkeit der Nebenfiguren, allesamt gescheiterte Existenzen, bezieht der Film deshalb auch seinen größten Reiz.

Es gibt einen um das Sorgerecht seiner sechs Kinder kämpfenden, hypersensiblen Vater, einen selbsternannten, in die Jahre gekommenen Autorenfilmer und einen psychisch labilen Testamentsvollstrecker, der schon mal eine Affenmaske überzieht und sich damit ans Steuer setzt. Das alles klingt nicht nur völlig abseitig und sinnentleert, es ist zu weiten Teilen auch genauso überdreht und irrational. Aber auf eine nicht unsympathische und irgendwie charmante Art und Weise.

Björn Schneider