35 Rum

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In Zeiten, da einem Filme oft in Wort UND Bild vermitteln, was geschieht, ragt Claire Denis' poetischer „35 Rum“ heraus wie ein Solitär. Sofern man überhaupt von Handlung sprechen möchte, dann geht es um die Geschichte eines aus der Karibik stammenden Vaters, der langsam erkennt, dass die erwachsene Tochter eigene Wege gehen wird. Um Zusammenhänge im Verhältnis und der Gefühle der Figuren zueinander zu entdecken, heißt es genau hingeschaut.

Webseite: www.realfictionfilme.de

OT: 35 Rhum
Frankreich/Deutschland 2008
Regie: Claire Denis
Darsteller: Alex Descas, Mati Diop, Grégoire Colin, Nicole Dogué, Julieth Mars-Toussaont, Jean Christophe Folly, Ingrid Caven
105 Minuten
Verleih: Realfiction
Kinostart: 5.3.2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Wenn zu Beginn von Claire Denis in einem Pariser Vorortviertel spielendem Film Joséphine (Mati Diop) einen Reiskocher kauft und kurz darauf ihr aus Guadeloupe stammender Vater Lionel (Alex Descas) mit einem ähnlichen Modell aufkreuzt, dann ist das nicht etwa ein Missverständnis zwischen den beiden, sondern ein Zeichen dafür, dass die Tochter bald ihren eigenen Hausrat benötigen wird. Das Verhältnis zwischen ihnen ist gut, vertraut und offen. Dass beider Leben bald vielleicht eigenen Bahnen folgt, Veränderung bevorsteht, sorgt jedoch auch für Nachdenklichkeit und Angst vor dem Alleinsein.

Joséphine studiert, die Kamera begleitet sie einmal in ein Seminar, in dem es um das Verhältnis zwischen der Ersten und der Dritten Welt geht. Themen, die Claire Denis auch in früheren Filmen schon angesprochen hat. Hier aber spielt es nur eine untergeordnete Rolle. Sonst gerne als dramatisches Potenzial angeführte soziale Probleme von Einwanderern spart der Film weitestgehend aus. Das Augenmerk gilt dem Alltag und wie sich die Figuren darin eingerichtet haben. Lionel und Joséphine leben ein zurückgezogenes, bescheidenes und – so wirkt es – glückliches Leben in ihrer Community. Sie gehen ab und an mit Freunden aus, zum tanzen, trinken, auf ein Konzert. Zu ihnen zählen Noé (Grégoire Colin), der ständig auf der Flucht scheint und sich zu Joséphine hingezogen fühlt, die Taxifahrerin Gabrielle, die gerne die Frau an der Seite des verwitweten Lionel wäre und René, dessen pensionierter Kollege, der mit seiner vielen Freizeit nichts anzufangen weiß, sich ausgeschlossen fühlt und das Leben nimmt. Bei seiner Beerdigung kommt es auch zu jener Szene, die dem Film seinen schnapshaltigen Titel gab.

„Alles könnte ewig so weitergehen“, sagt Joséphine einmal zu ihrem Vater. Natürlich tut es das niemals. Und doch spricht genau aus einem Satz wie diesem, worum es Claire Denis geht: um das Akzeptieren von Veränderungen, sei es aufgrund natürlicher Entwicklungen oder unvorhersehbarer Ereignisse. Das wiederholte Bild von Gleissträngen mag dabei symbolisch stehen für das Leben in eingefahrenen Bahnen, aber auch für die Möglichkeit des Vorwärtskommens, des in neue Richtungen Aufbrechens. Als Zugführer hat Lionel dieses Bild täglich vor Augen.

Veränderung schildert Claire Denis jedoch weniger in Form konkreter Ereignisse, sondern gespiegelt im Antlitz und den Blicken der Protagonisten und anderen kleinen Details. Trotzdem bleibt vieles im Ungefähren und erschließt sich oft erst viel später. Dass der Selbstmord Renés den Begriff ‚Trennung’ wörtlich meint, ist so gesehen ein geradezu brutales Bild. Sehnsucht, Liebe, Hoffnung, Ängste - selbst fröhliche Momente sind da von einer schweren Melancholie begleitet. Heftiger Regen, wolkenvergangener Himmel und triste Wohnlandschaften und der träumerische Soundtrack von Stuart Staples (Tindersticks) tun ein übriges, die insgesamt eher drückende Stimmung weiter anzuheizen. In seiner poetischen Bildsprache und den starken Charakterporträts manifestiert sich hingegen die Meisterschaft der auf Reduktion setzenden 60-jährigen Regisseurin.

Thomas Volkmann

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