Tandem – In welcher Sprache träumst du?

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„Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ ist ein eindringlicher, aber nie überzogener Film über zwei Teenager am Rande des Erwachsenwerdens, in einer Welt, in der die Wahrheit nicht immer ist, was sie zu sein scheint, und die Selbstfindung alles andere als einen leichten Prozess darstellt.

Website: https://port-prince.de/projekt/langue-etrangere/

Langue étrangère
Frankreich / Deutschland / Belgien 2024
Regie: Claire Burger
Drehbuch: Claire Burger, Léa Mysius
Darsteller: Lilith Grasmug, Josefa Heinsius, Nina Hoss
Länge: 101 Minuten
Verleih: Port au Prince Pictures
Kinostart: 24. Oktober 2024

FILMKRITIK:

Die 17-jährige Fanny kommt als Austauschschülerin aus Frankreich nach Deutschland. Lena ist erst nicht begeistert über den Hausgast, aber die beiden Mädchen freunden sich an. Vielleicht auch deswegen, weil jede einen Blick auf das Leben der anderen bekommt, und hier vor allem auf das, was schiefläuft. Lena hat einen rassistischen Großvater, eine Mutter, die von ihrem Mann getrennt ist, das aber nicht wahrhaben will und ihre Gefühle in Alkohol ertränkt, und das Gefühl, in einer zusehends chaotischeren Welt nichts ausrichten zu können. Fanny wurde in der Schule gemobbt, hat einen Selbstmordversuch hinter sich und findet in Lena erstmals einen Menschen, dem sie sich anvertrauen kann. Und doch fühlt sie sich gezwungen, sich interessanter zu machen, indem sie Geschichten ersinnt, die nicht der Wahrheit entsprechen.

Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte, eine über das gegenseitige Kennenlernen, aber auch das Verstehen, wer man selbst ist. Über eine zarte Liebe, die lange nur angedeutet wird, aber dafür umso mächtiger wirkt. Regisseurin Claire Burger setzt auf Zurückhaltung, auf die leisen Momente, die aber nachhallen. Der deutsche Untertitel ist eine Schlüsselszene des Films, er markiert einen Wechsel in der Erzählung. Die erste Hälfte spielt in Deutschland, die zweite in Frankreich, wenn Lena Fanny besucht. Der Moment davor: ein besonders intimer im Whirlpool, bei dem Lena fragt, ob das nur ein Traum ist und Fanny mit der Frage erwidert, ob Lena denn auf Französisch träumen würde.

Der Film lebt von den Newcomern Lilith Grasmug und Josefa Heinsius, die eine sehr authentische Darstellung abliefern. Die eine schüchtern und zurückhaltend, die andere auf Konfrontation gebürstet und dem Aktivismus zugewandt. Die beiden funktionieren zusammen hervorragend. Der Mix aus deutscher und französischer Sprache, den sie sprechen, trägt nur zum lebensechten Flair bei.

Man kann „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ als eine Geschichte über das Erwachen einer Liebe verstehen, aber auch als eine über eine Generation, die sich im ewigen Krisenmodus der Gegenwart verloren fühlt, die Sinn in einer Existenz sucht, die scheinbar sinnfrei ist. Die sich engagiert, und doch daran verzweifelt, dass dieses Engagement keine Blüten trägt. Es geht ebenso um die Wahrheit und die Macht, die sie hat – die echte, aber auch die fabulierte, da das eine vom anderen nicht zwangsläufig unterscheidbar ist. Das macht Claire Burgers Werk zu einem Film, der auf gleich mehrerlei Ebenen funktioniert. Er scheint aus dem Leben gegriffen, und wie im echten Leben, dessen Ereignisse keinem Drehbuch folgen, endet er mit einer offenen Frage, die verheißungsvoll oder auch traurig sein kann.

Peter Osteried