791 km

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„Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n, auf der Autobahn“, der „Kraftwerk“-Klassiker ist Programm für dieses Kammerspiel in einem Taxi. Die titelgebende Strecke von München nach Hamburg legen fünf Fremde in einem Daimler zurück. Bald schon fliegen die Fetzen. Doch ebenso schnell verträgt man sich wieder. Der Weg wird zum Ziel. Für mehr Verständnis, mehr Mitgefühl, mehr Zuhören. Weniger Kitsch-Kalorien hätten es sein dürfen? Doch die braucht es für das ziemlich beste Weihnachtsmenü im Kino.

Webseite: https://www.warnerbros.de/de-at/filme

D 2023
Regie: Tobi Baumann
Darsteller: Iris Berben, Joachim Król, Nilam Farooq, Ben Münchow, Lena Urzendowsky

Länge: 103 Minuten
Verleih: Warner Bros. Pictures Germany
Kinostart: 14. Dezember 2023

FILMKRITIK:

Am Anfang war der Sturm. Prompt herrscht großes Chaos am Bahnhof von München. Um trotz Zugausfällen nach Hamburg zu kommen, teilen sich vier Reisende ein Taxi. Gutscheine der Bahn machen es möglich. Für das ungleiche Quartett samt Chauffeur entwickelt sich die nächtliche Reise in den hohen Norden zum Selbsterfahrungstrip mit reichlich Höhen und allerlei Tiefen. Zu den Passagieren gehören das streitlustige junge Pärchen Susi (Lena Urzendowsky) und Philipp (Ben Münchow) - er der sensible Softie, sie die knallharte Karrierefrau. Dazu die zunächst etwas sonderbar wirkende Tiana (Nilam Farooq), die einige Geheimnisse birgt. Sowie die ältere Marianne (Iris Berben), studierte Soziologin mit ganz viel Empathie. Weniger verständnisvoll erweist sich hingegen der mürrische Fahrer Josef (Joachim Król), der sichtlich wenig Freude am Job und noch weniger Lust auf andere Menschen hat.

Kaum ist man auf der Autobahn, wird auch schon gestritten. Über Klima. Über Musik. Über Cancel-Culture. Alte Konflikte brechen auf, neue Koalitionen entstehen und so manches Geheimnis wird gelüftet. „In meinem Auto wird nicht gesungen. Und auch nicht gebetet“, grummelt Josef. „Ungeduld ist ein Hemd aus Brennnesseln“ belehrt Marianne den Chauffeur. Unterschiedliche Charaktere auf engstem Raum als Zwangsgemeinschaft zusammenzupferchen erweist sich traditionell als dramaturgisches Füllhorn. Ohne Fluchtmöglichkeiten schmilzt die Frustrationstoleranz aller Beteiligten dahin. Im Stresstest bröckeln bei den einen die Fassaden, derweil andere unerwartet über sich hinaus wachsen.

Die Taxifahrt wird zu Streit-Achterbahn und Versöhnungs-Karussell in einem. Doch je länger die Fahrt, desto mehr Klischees lauern am Wegesrand. Manche Konfliktchen wirken konstruiert, einige Episoden, etwa jene mit Polizei oder Krankenhau erscheinen wie angeklebt. Vom gemeinsam gesungenen „Lean on me“ ganz zu schweigen. Ein bisschen arg viel an sirupsüßen Kitsch-Kalorien? Es ist schließlich Weihnachten! Als echtes Geschenk entpuppen sie die alten Zirkuspferde Iris Berben und Joachim Król, die mit gewohnter Lässigkeit zu überzeugender Leistung auflaufen: Ein Fest der Schauspielkunst!

 

Dieter Oßwald