8:30

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Konventionelle Narration sollte man in Laura Nasmyth Film „8:30“ nicht erwarten, denn die aus England stammende, in Österreich lebende Regisseurin inszeniert in ihrem ersten Langfilm eine surreale Reise ins Niemandsland von gesichtslosen Vorstädten und den nicht minder gesichtslosen, anonymen Welten der modernen Kommunikation. Ein sperriges, spannendes Experiment, von großer formaler Strenge.

Webseite: www.facebook.com/830TheMovie/

Österreich 2018
Regie: Laura Nasmyth
Buch: Laura Nasmyth, Philip Leitner
Darsteller: Florian Nolden, Doris Hess, Stefan Ried, Patrick Topitschnig, Angelica Castello, Susanne Toth, Denis Karalic
Länge: 70 Minuten
Verleih: deja-vu Film
Kinostart: 2. August 2018

FILMKRITIK:

Eine Gruppe Vertreter fährt mit dem morgendlichen Zug in eine Vorstadt. Kommunikation findet zwischen dem Quartett nur via Headsets statt, direkte menschliche Kontakte scheinen geradezu unerwünscht zu sein. Ebenso kalt und distanziert sind dann auch die Begegnungen mit den Klienten, denen sie unbestimmte Dinge verkaufen wollen.
 
Einem der vier, dem unscheinbaren Isaak (Florian Nolden), widerfährt nun Sonderbares: Er bleibt in einer Art Zeitschleife hängen, die ihn immer wieder zum gleichen Vorortbahnhof bringt, wo er an den immer gleichen, gesichtslosen Reihenhaussiedlungen vorbeigeht. Gelegentlich begegnet er den Bewohnern der Vorstadt, die ihn ansehen, als wäre er ein Außerirdischer. Und wie ein Fremdkörper wirkt er hier auch, mit Anzug und Aktenkoffer oder wenn er sich mit seinem Notebook in einen menschenleeren Schnellimbiss setzt, um via skype in Kontakt mit seinen Vorgesetzten, mit der Außenwelt zu bleiben.
 
Wirkliche Kommunikation findet in dieser Welt ohnehin nicht mehr statt, stattdessen scheidet Nasmyth immer wieder zu Aufnahmen aus echten bzw. nachgestellten Fernsehsendungen, Talkshows, Datingshows, Nachrichten über boulevardeske Themen, sinnlose Bilderkaskaden, in denen viel gezeigt, aber nichts gesagt wird. Leer, seelenlos erscheint diese Welt, in der die immer wichtigeren Sozialen Medien nicht mehr als ein Simulakrum von zwischenmenschlicher Kommunikation darstellen.
 
Manchmal sieht man da Issak direkt durch die Straßenansichten von Google Maps laufen, was auch nicht echter oder falscher wirkt, als wenn er durch reale Straßen geht. Dass Nasmyth keine Sets bauen musste, dass sie in realen Vorstädten, zwischen realen Reihenhaussiedlungen drehte, die so verlassen und öd erscheinen, dass man sich ein wirkliches Leben an diesen Orten kaum vorstellen mag, macht ihren Blick auf die Gegenwart nur noch zwingender.
 
Mit einfachsten filmischen Mitteln arbeitet Nasmyth, vor allem einer präzisen Kamera, die Isaak in den Kulissen der Welt isoliert, in der Leere von verlassenen Bahnhöfen und austauschbaren Zügen. Eine richtige Entscheidung ist schließlich auch, dass „8:30“ kaum mehr als eine Stunde lang ist, denn wie es bei einem Experimentalfilm dieser Art kaum anders möglich ist, steht am Ende keine Auflösung, kein prägnanter Schluss, sondern eher ein abruptes Ende. Aus der Zeitschleife, in de Isaak gefangen scheint und die auf so treffende Weise das um sich selbst Kreisen der modernen Welt beschreibt, kann es kein einfaches entkommen geben. Und so kommt „8:30“ nicht zu einem Ende, sondern hört einfach auf, was man als unbefriedigend betrachten könnte, aber auch als treffendes Finale eines Films, der mit großer Originalität und Einfallsreichtum die Ödnis der modernen Existenz beschreibt.
 
Michael Meyns