A Black Jesus

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Luca Lucchesis kraftvoller, wirklich beeindruckender Dokumentarfilm, produziert von Wim Wenders, ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie vielschichtig und trotzdem ganz einfach Filme wirken können: Technisch und visuell herausragend thematisiert Lucchesi in prächtigen Cinemascope-Bildern, aber inhaltlich ohne Beschönigung, den Umgang mit Geflüchteten in einer Kleinstadt auf Sizilien und erzählt daraus eine universell gültige Geschichte. Dabei wird eine schwarze Jesusfigur zum Symbol für das Verhältnis zwischen afrikanischen Flüchtlingen und der einheimischen Bevölkerung.

Website: http://filmweltverleih.de/cinema/movie/a-black-jesus

Dokumentarfilm
Deutschland 2020
Homepage: http://www.filmweltverleih.de/cinema/movie/a-black-jesus
Regie, Buch, Kamera: Luca Lucchesi
Mitarbeit am Buch: Hella Wenders
Original-Soundtrack: Roy Paci
Länge: 92 Minuten
Verleih: Filmwelt
Kinostart: ab 20. Mai 2021 digital mit finanzieller Beteiligung der Kinos; im Kino sobald wieder möglich

FILMKRITIK:

„Sie lieben ein Stück schwarzes Holz, aber keine schwarzen Menschen.“ Das sagt einer der Flüchtlinge, die am Rande des sizilianischen Küstenstädtchens Siculiana in einem ehemaligen Hotel untergebracht sind. Die Kontakte zwischen der Stadtbevölkerung und den Asylbewerbern sind spärlich. Beim Fußball wird getrennt nach Hautfarbe gespielt, wobei die Afrikaner auf einem staubigen Sandplatz kicken, die Einheimischen direkt daneben auf Kunstrasen. Das Auffanglager ist vielen ein Dorn im Auge. Vorurteile und Ängste sind weit verbreitet, nur hier und da werden Stimmen laut, die an christliche Werte erinnern: Barmherzigkeit, Nächstenliebe …

In Siculiana gibt es dazu eine besondere Verbindung: Das größte Heiligtum der Stadt ist eine schwarz gefärbte Jesusfigur, die einmal im Jahr von zwei Dutzend ausgewählten Männern feierlich durch die Stadt getragen wird. Die Prozession und das dazugehörige Fest bilden den jährlichen Höhepunkt des gesellschaftlichen und religiösen Lebens in Siculiana. Die Friseursalons haben Hochkonjunktur, der Pfarrer ist im Dauereinsatz – alles muss geplant und vorbereitet werden, und schließlich ist es so weit: Die Prozession beginnt, und der Transport des schwarzen Jesus entpuppt sich als ziemlich wackelige Angelegenheit, denn die Gassen von Siculiana sind schmal, steil und uneben. Die Männer an den Tragestangen kommen schnell ins Schwitzen, während das Publikum auf den Balkonen der benachbarten Wohnhäuser versucht, das Kruzifix zu berühren. Am Straßenrand stehen die afrikanischen Flüchtlinge und machen Fotos. Einer von ihnen, der 19-jährige Edward aus Ghana, hat eine Idee: Im nächsten Jahr möchte er zu den Trägern gehören. Gesagt – getan: Mit dem Italienischlehrer werden die Sprachkenntnisse noch ein wenig aufpoliert, dann nimmt Edward seinen ganzen Mut zusammen und fragt den Pfarrer, der zwar ein wenig überrascht, aber auch erfreut reagiert. Im nächsten Jahr erhalten auch die drei Freunde Edward, Peter und Samuel die geweihten roten Halstücher der Träger und helfen mit, den schwarzen Jesus durch die Stadt zu tragen.

Luca Lucchesi ist Autor und Regisseur des Dokumentarfilms, der in der Heimatstadt seines Vaters spielt. Lucchesis enge Verbindung zur Bevölkerung, vor allem aber der Respekt und die Sensibilität, mit der er seine Mitmenschen betrachtet, haben ein Werk ermöglicht, das sich weniger mit der Religion befasst als mit dem Glauben, also mit den viel zitierten christlichen Werten, die allzu häufig herangezogen werden, um andere zu diskreditieren. Aber nicht hier, denn Lucchesi achtet jeden einzelnen Menschen. Sein Credo könnte lauten: Kommunikation ist alles – man muss einfach miteinander sprechen. Dabei wird niemand bloßgestellt, es gibt weder einen klaren Appell noch direkte Kritik, nicht einmal einen Kommentar. Doch zwischen den Zeilen wird umso deutlicher, welche Richtung der Film einschlägt. Luca Lucchesi zeichnet letztlich das Porträt einer Gemeinschaft, die sich entwickeln muss, um weiter zu bestehen. Damit wird sein Film zu einem universellen Statement, das von Sizilien aus in die Welt hinausstrahlt.

Die visuelle Gestaltung ist spektakulär. Lucchesi zeigt in grandiosen Cinemascope-Bildern die pittoreske Atmosphäre der Kleinstadt, er wählt ungewöhnliche Blickwinkel, Kamerafahrten vor- und rückwärts und auch mal in Augenhöhe der Jesus-Figur – übrigens einer der wenigen ironischen Kommentare des Regisseurs, der erst im Nachhinein deutlich wird. Lucchesi beobachtet, er hört den Menschen zu, lässt sie miteinander sprechen oder auch mal monologisieren. Das ist liebenswürdig und, im besten Sinn, entlarvend. Denn er fängt auch die Widersprüche ein: die Liebe zu einer Stadt, in der es kaum noch Kinder und junge Leute gibt und die als neue Heimat für die jungen Afrikaner bestens geeignet wäre, sowie ein gelebter Katholizismus, der vielen dennoch keinen Raum für Nächstenliebe lässt.

Dabei wird eines klar, was vermutlich überall gilt: Die Menschen, ganz gleich, ob sie schon lange dort wohnen oder als Asylsuchende kommen, fühlen sich allein gelassen. Von einer Politik ohne positive Visionen und von Entwicklungen, die viele überfordern und chancenlos zurücklassen. Luca Lucchesi findet wirkungsmächtige Bilder: ein gestrandetes Flüchtlingsboot am Strand, malerische Gässchen, die Schönheit der Landschaft, alles begleitet von einem traumschönen Soundtrack, der einen beinahe barocken Klangteppich darüber legt. Und mit alldem schafft Lucchesi eine freundliche, optimistische Atmosphäre, die von der schnöden Wirklichkeit eingeholt, aber nicht zerstört werden kann. Das Auffanglager wird aufgelöst, die Afrikaner müssen Siculiana verlassen, aber der Anfang ist gemacht. Etwas Gutes ist hier geschehen.

Gaby Sikorski