A Thousand and One

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Beim Sundance Film Festival erhielt „A Thousand and One“ den Grand Jury Prize. A.V. Rockwells Debütfilm erzählt die intensive Geschichte einer Mutter, die ihren Sohn aus dem Pflegefamiliensystem entführt und versucht, für ihn da zu sein. Es ist eine Geschichte, die auf zwei zeitlichen Ebenen erzählt wird. 1994 mit der Mutter und dem kleinen Jungen und 2005 mit dem jungen Mann, der seine eigenen Lebensentscheidungen treffen muss.

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A Thousand and One
USA 2023
Regie: A.V. Rockwell
Buch: A.V. Rockwell
Darsteller: Teyana Taylor, Aaron Kingsley Adetola, Aven Courtney

Länge: 117 Minuten
Verleih: Universal Pictures
Kinostart: 18. Mai 2023

FILMKRITIK:

1994: Inez wurde erst vor kurzem aus dem Gefängnis Rikers Island entlassen. Sie will Terry, ihren sechsjährigen Sohn, wiedersehen und stößt auf einen Jungen, für den das Verlassenwerden längst Normalität geworden ist. Er ist aber auch ein Junge, den das Pflegefamiliensystem fast schon kaputtgemacht hat. Darum trifft Inez eine folgenschwere Entscheidung. Sie entführt ihren Jungen, in der Hoffnung, ihm ein besseres Leben geben zu können. 2005: Terry ist jetzt 17 Jahre alt, ein junger Mann an der Schwelle zum Erwachsenwerden, und das in einer Stadt, die sich radikal verändert.

Gänzlich überzeugend ist A.V. Rockwells Film nicht. Man fühlt sich an „Moonlight“ erinnert, dessen Komplexität erreicht „A Thousand and One“ jedoch nicht. Der Film wirkt ein wenig überlang, aber auch etwas chaotisch. Die narrative Struktur ist uneben, gerade so, wie man das bei einem Debütfilm erwarten würde – ein entsprechendes Korrektiv fehlte für Rockwell offenkundig.

Aber das soll nicht heißen, dass der Film nicht auch seine starken Momente hätte. Die gibt es sogar reichlich. Es gelingt sehr gut, den Wandel der Stadt, mehr aber noch des Viertels Harlem, zu zeigen. Was zuvor die wohlvertraute Heimat war, verändert sich im Zuge der Gentrifizierung immer mehr – bis zur Unkenntlichkeit. Rockwell fängt das auch in starken Bildern ein. Sie sprühen vor Lebendigkeit und schaffen ein Milieuverständnis, das für diese Art Film essenziell ist. Die Optik ist oftmals stärker als der Inhalt, weil Rockwells Skript nicht in jeder Beziehung zu Ende gedacht ist, und manchmal das Abgleiten ins Melodramatische nicht vermeiden kann.

Die Erzählung bricht, wird vignettenhaft, aber zusammengehalten von einer atemberaubenden Teyana Taylor, die als Mutter eine imposante Darstellung abliefert. Ihren Schmerz, ihre Sorge, auch ihre Schuld spürt man in dieser Performance immer. Sie ist es, die den Film wirklich lebendig werden lässt. Der Stärke dieser Figur kommt der mäandernde Film wiederum niemals wirklich nahe. Er brilliert am Ehesten dadurch, ein Gefühl dafür zu erzeugen, welchen Gefahren Inez‘ Sohn in einem sich immer mehr veränderndem Harlem ausgesetzt ist, ohne dass man ins Plakative abgleiten würde. Es ist Atmosphäre, die den Film hier durchdringt.

Ultimativ hat „A Thousand and One“ einige Schwächen, aber auch viel, das für ihn spricht. Allen Mängeln zum Trotz macht ihn das sehenswert.

 

Peter Osteried