Ein Film der leisen Zwischentöne ist Max Gleschinskis „Alaska“, der nicht weiter von den endlosen Weiten des amerikanischen Nordwestens entfernt spielen könnte: Auf der Mecklenburgischen Seenplatte bewegen sich die Figuren, oft im Kajak, ein Fortbewegungsmittel, das ungefähr dem Tempo des Films entspricht. Beim Max Ophüls Festival gab es dafür den Hauptpreis.
Deutschland 2023
Regie & Buch: Max Gleschinski
Darsteller: Christina Grosse, Pegah Ferydoni, Karsten Antonio Mielke, Niklas Wetzel, Milena Dreissig
Länge: 124 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 7. September 2023
FILMKRITIK:
Eine Frau im Auto, auf der Landstraße, sie fährt über das flache Land, hört alten Euro-Pop. An einem Fluss hält sie an, holt ein rotes Kajak aus dem Wagen, zieht es ins Wasser, vergisst fast die Paddel, doch dann kann es losgehen. Die Frau heißt Kerstin (Christina Grosse) und steht im Mittelpunkt von Max Gleschinskis zweitem Spielfilm „Alaska“, für den der erst 29jährige Regisseur gleich mit dem Hauptpreis beim Max Ophüls-Festival ausgezeichnet wurde.
Mit größter Ruhe und Zurückhaltung, betont entschleunigt und schweigsam zeigt Gleschinski seine Hauptfigur auf ihrer Reise, die sie im Zweierkajak alleine über Flüsse und zu Zeltplätzen führt, wo sie möglichst wenig mit Menschen zu tun haben möchte. Was man ihr kaum verdenken kann, denn wenn sie einmal notgedrungen mit jemandem sprechen muss, wirken die Campingplatzbetreiber oder Ladenbesitzer ausgesprochen brüsk, um nicht zu sagen unfreundlich.
Es dauert eine ganze Weile, bis Kerstin Alima (Pegah Ferydoni) kennenlernt, die eigentlich gar nicht paddeln will, aber ihren Ex-Freund und dessen Freunde bei einer Tour begleitet. Wo Kerstin introvertiert ist, ist Alima extrovertiert, offen, direkt, fast schon übergriffig. Nach und nach bekommt sie tatsächlich etwas aus Kerstin heraus, werden auch dem Zuschauer winzige Informationsbrocken hingeworfen, die sich langsam (sehr langsam) zu einer Ahnung formen.
Vor kurzem ist Kerstins Vater gestorben, den sie seit langem betreut hat, für den sie zurückgesteckt hat, auf ein eigenes Leben verzichtet hat. Ein wenig Geld scheint der Vater besessen zu haben, weswegen Kerstin nun von Thomas (Karsten Antonio Mielke) gesucht wird, ihrem Bruder, von dem sie schon lange entfremdet ist. Thomas wiederum wird von seiner Frau Nina (Milena Dreissig) und dem Sohn Sören (Niklas Wetzel) begleitet, die Druck machen und die Sache schnell erledigt haben wollen.
In vier Kapiteln erzählt Gleschinski seine Geschichte, Kapitel, die mit Gemälden eingeleitet werden, die jeweils andere Figuren zeigen und vielleicht vom verstorbenen Vater gemalt sind. Wobei man auf einem der Gemälde auch Alima sieht, die der Vater kaum gekannt haben könnte. Ob dies nun ein Fehler oder ein bewusst eingesetztes Moment der Irritation ist, die dem Geschehen etwas mysteriöses, magisches verleihen soll bleibt offen. Man könnte letzteres vermuten, denn Max Gleschinski, der zuvor mit seinem Debüt „Kahlschlag“ auf sich aufmerksam machte, scheint genau zu wissen, was er tut. Fast schon zu kontrolliert und überlegt mutet sein Film an, von einer Besonnenheit, einem Interesse an den Verhältnissen älterer Geschwister, verheirateter Paare, die man eher von einem deutlich älteren Regisseur erwarten würde, als von einem Endzwanziger.
Ein wenig zu gut passt „Alaska“ in bestimmte Formen des deutschen Kinos, aber auch in das vor allem bei Film Festivals beliebte Format des Slow Cinemas. Das ausgestellte Langsamkeit, eine schleppende Erzählweise, nur nach und nach offenbarte Figuren-Zusammenhänge automatisch besondere Substanz bedeuten scheinen Regisseure dieser Art Film allzu oft zu glauben. Nicht jeder Film muss oder soll durch ausgefallene Bilder, eine rasante Erzählweise herausragen. Aber gerade die Form eines Nachwuchsfilm, der mit den Mitteln des kleinen Fernsehspiels realisiert wurde, könnte die Möglichkeit für einen frischen, überraschenden, experimentellen filmischen Versuch genutzt werden und nicht nur für einen zwar durch und durch soliden Film wie „Alaska“, der am Ende doch allzu altbacken wirkt.
Michael Meyns