Alkohol – Der globale Rausch

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Ob das abendliche Gläschen Wein, das Bier in der Eckkneipe oder der Cocktail beim Feiern: Regisseur Andreas Pichler geht in seiner Doku der Beliebtheit der „Volksdroge“ Alkohol auf den Grund. Im Kern geht es um die Frage, wieso das Bedürfnis nach alkoholischen Getränken so ungebrochen groß ist - trotz des Schadens, den sie anrichten. Daneben rückt Pichler die Alkoholwirtschaft ins Blickfeld, die jährlich über eine Billionen Euro umsetzt. Wer sind die Profiteure des hohen Absatzes? Und wie stark wird die Politik von dieser mächtigen Industrie beeinflusst?

Webseite: www.tiberiusfilm.de

Dokumentation
Deutschland 2019
Regie: Andreas Pichler
Darsteller: David Nutt, Raphael Gaßmann, Helmut Seitz, Inga Dora Sigfusdottir
Länge: 89 Minuten
Kinostart: 09.01.2019
Verleih: Tiberius Film

FILMKRITIK:

Kein anderes Rauschmittel weltweit erfreut sich größerer Beliebtheit: Rund vier Milliarden Menschen auf der Welt konsumieren regelmäßig Alkohol. Der Grund liegt in der Legalität dieser „Droge“. Mit verheerenden Folgen für die Gesundheit. Denn weit über drei Millionen Menschen sterben Jahr für Jahr an den Folgen von Alkohol. Gleichzeitig wollen die meisten aber nicht auf ihr Bier, das Glas Wein oder Schnaps verzichten. Vor allem nicht in Europa, denn dort ist der Alkohol-Verbrauch am höchsten: Von den 30 Ländern mit dem international höchsten Pro-Kopf-Konsum befinden sich 26 auf dem alten Kontinent.

Facettenreich und unter Berücksichtigung der wichtigsten Blickwinkel bereitet Andreas Pichler das Reizthema „Alkohol“ sehr ausführlich und spannend für die Zuschauer auf. Dabei beleuchtet er zunächst die Gründe für den Alkoholkonsum in den verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten, etwa bei Fußballspielen und in der Sportbar. In Situationen und Momenten also, in denen das Thema „Gruppenzwang“ eine nicht unerhebliche Rolle spielt und man durch seine Emotionen sowie die anderen Anwesenden oft zum Alkoholtrinken verleitet wird.

Dasselbe gilt für weitere Anlässe aller Art, in denen Menschen zusammenkommen und die alkoholischen Getränke nicht selten literweise strömen: bei der Betriebsfeier, dem After-Work-Stammtisch oder dem nächsten großen Familienfest. Die Verlockung lauert überall und das (Be)Trinken wird allgemein akzeptiert. Sachlich und ohne zu Bewerten veranschaulicht Pichler all diese verführerischen Möglichkeiten zum Konsum.

Daneben spricht er mit Personen, die einst alkoholkrank waren oder es immer noch sind. Darunter eine junge Britin, die ganz freimütig zugibt sehr gerne sehr viel zu trinken. Nicht zuletzt da sie sich in einem Milieu aufhält, in dem der Rausch einfach dazugehört: Sie ist Fußball-Fan und  Dauergast im Stadion und der Fußballkneipe. Doch natürlich können auch andere äußere Umstände sowie sehr persönliche Gründe den Alkoholkonsum fördern, etwa Versagensängste oder der unbedingte Wunsch danach, beständig leistungsfähig zu sein und zu funktionieren. Davon berichtet der österreichische Journalist Lorenz Gallmetzer, der sich langsam vom Gelegenheits- zum „Problemtrinker“ entwickelt hat. Passend dazu lässt Pichler Experten zu Wort kommen, die die fatale, zerstörerische Wirkung von Alkohol auf das Gehirn verständlich erklären.

Investigativ und konsequent geht Pichler dann auch die brisanten Themen an. Zum Beispiel wenn er mit den Alkohol produzierenden Firmen und Brauereien direkt über die „Industrialisierung der Alkoholproduktion“ sprechen will. Lediglich ein Mitglied der Führungsriege des dänischen Brauereikonzerns Carlsberg lässt mit sich reden. Alle anderen Konzerne erklären sich nicht gesprächsbereit – eine deutliche Botschaft. Je länger „Alkohol“ dauert desto umfassender arbeitet der Regisseur heraus, wie gewinnorientiert und rücksichtslos die Alkoholindustrie bisweilen vorgeht. Wie sie Jahr für Jahr Milliarden in die Alkoholwerbung pumpt. In subversive und höchst aggressive Marketingkampagnen, die Frauen zu Sexualobjekten degradieren, Stereotype bedienen und die Hypermännlichkeit als Idealbild proklamieren.

Außerdem widmet sich „Alkohol“ der wirtschaftlichen Komponente (allein drei Millionen Menschen in Europa arbeiten in der Weinproduktion), richtet seinen Blick auf die „Zukunftsmärkte“ in Afrika, Asien sowie China und vergegenwärtigt, wieso die Politik gar kein Interesse an einer Eindämmung des Alkoholverkaufs und -konsums haben kann (Stichwort: Alkoholsteuer). Der frühere Drogenberater der englischen Regierung bringt es auf den Punkt: „Die Regierungen erlauben uns den Verkauf dieser Drogen und verdienen auch noch daran.“

Björn Schneider