All the Beauty and the Bloodshed

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Ein moderner Kampf zwischen David und Goliath waren die Proteste, die die amerikanische Künstlerin Nan Goldin gegen die durch legal verschriebene Opiate reich gewordene Sackler-Familie anführte. Doch nicht nur von diesem Aktivismus erzählt Laura Poitras in ihrem Dokumentarfilm „All the Beauty and the Bloodshed“, der in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, sondern auch von einer Künstlerin, ihrer Arbeit und ihren Traumata.

USA 2022
Regie: Laura Poitras
Dokumentarfilm

Länge: 117 Minuten
Verleih: Plaion Pictures
Kinostart: 25. Mai 2023

FILMKRITIK:

Mindestens eine halbe Million Menschen sind allein in den USA im Zuge der so genannten „Opioidkrise“ gestorben. Fahrlässig hatten ihnen Ärzte Opiate zur Schmerzlinderung verschrieben, die von der Pharmaindustrie als angeblich ungefährlich und nicht süchtig machend vermarktet wurden. Besonders ein Produkt von einer Firma ist hier zu nennen: OxyContin, das von Purdue Pharma vertrieben wurde, einer Firma, die der Sackler-Familie gehörte.

Nach einer Rückenverletzung bekam auch die amerikanische Fotokünstlerin Nan Goldin das Medikament verschrieben – und wurde binnen kürzester Zeit süchtig. Nur knapp überlebte sie nach eigener Aussage die Sucht und wandelte sich in der Folge zur Aktivistin. Denn die Sackler-Familie hat im Laufe der Jahre mit enormen Summen Museen gefördert, Stiftungen initiiert, Stipendien finanziert. Ganze Museumsflügel der wichtigsten Häuser der anglo-amerikanischen Kunstwelt sind nach der Familie benannt, im New Yorker Metropolitan Museum etwa, dem Guggenheim oder dem Tate Modern in London.

Sich mit so einer reichen, mächtigen, einflussreichen Familie anzulegen mutet fast so aussichtslos an, wie der Versuch Edward Snowdens, die Machenschaften der amerikanischen Geheimdienste offenzulegen. Also genau das richtige Thema für die Filmemacherin Laura Poitras, die in „Citizenfour“ Snowdens Kampf beschrieben hat, vor allem aber ein faszinierendes Porträt eines Menschen gedreht hatte, der das größere Ganze über sein eigenes Leben gestellt hat.

Auf ähnliche Weise funktioniert nun auch „All the Beauty and the Bloodshed“, der auf den ersten Blick zwei parallel laufenden Narrationen folgt: Zum einen wird Leben und Werk der Künstlerin Nan Goldin beschrieben, die mit ihren oft expliziten Fotos von Subkulturen, von Menschen, die im Allgemeinen als Außenseiter der Gesellschaft gelten, in den 80er Jahren für Aufsehen und Skandale sorgte, inzwischen aber längst zu einer der renommiertesten Künstlerinnen der Gegenwart zählt.

Eine Position, die es ihr möglich machte, Gallionsfigur des Kampfes gegen Sackler zu werden, der im zweiten Erzählstrang geschildert wird. In einer Kunstzeitschrift veröffentlichte Goldin eine wütende Anklage, die mit den Worten begann: Ich habe die Opium-Krise überlebt. In der Folge nahm Goldin an zahlreichen Protestaktionen gegen Museen teil, die Gelder von der Sackler-Familie angenommen hatten, zog Bilder aus geplanten Ausstellungen zurück und sorgte zusammen mit ihren Mitstreitern für einen derartigen PR-Gau der Sackler-Familie, dass die Firma Purdue Pharma Konkurs anmeldete.

Das Problem der Opiodkrise ist damit natürlich nicht vorbei, genauso wenig wie die oft problematischen Versuche von reichen Unternehmen (oder Staaten), sich mit dem Sponsoring von Museen, wohltätigen Einrichtungen oder Sportveranstaltungen, reinzuwaschen. Was „All the Beauty and the Bloodshed“ vor allem zeigt sind zwei Dinge: Dass ziviler Ungehorsam durchaus einen Effekt haben kann und was für eine interessante Künstlerin Nan Goldin ist.

 

Michael Meyns