Alle die du bist

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Als romantisches Sozialdrama beschreibt Michael Fetter Nathansky seinen zweiten Spielfilm „Alle die du bist“, der in der Panorama-Sektion der Berlinale Weltpremiere feierte. Eine treffende Beschreibung, die den erzählerischen Spagat einer Liebesgeschichte in der Arbeiterklasse auf den Punkt bringt, die mit Elementen des magischen Realismus angehaucht ist und Fetter Nathansky endgültig als einen der interessantesten jungen deutschen Regisseure etabliert.

Deutschland/Spanien 2024
Regie & Buch: Michael Fetter Nathansky
Darsteller: Aenne Schwarz, Carlo Ljubek, Youness Aabbaz, Sara Fazilat, Moritz Klaus, Jule Nebel-Linnenbaum

Länge: 108 Minuten
Verleih: port-au-prince
Kinostart: 4. April 2024

FILMKRITIK:

Nadine (Aenne Schwarz) weiß was los ist: Kollegen haben sie gerufen, da ihr Mann Paul (Carlo Ljubek) einmal mehr eine Panikattacke bekommen hat und sich in der Fabrik verschanzt hat. Trotz der Warnungen der Kollegen geht Nadine zu ihm – und steht vor einem Rind! Liebevoll umarmt sie es und hat kurz darauf ein Kind im Arm. Beide Variationen von Paul, bzw. Versionen von Paul, so wie Nadine sie wahrnimmt.

Doch inzwischen sieht sie Paul meist einfach „nur“ als Paul, ein Mann um die 30, so wie Nadine. Nach den ominösen sieben Jahren Beziehung hat sich bei dem Paar längst Routine eingestellt, zwei Kinder sind da, Leben und Arbeit gehen ihren allzu gewohnten Gang. Dazu kommt, dass es in der Fabrik Probleme gibt, die Arbeitsplätze unsicher sind, Gehaltskürzungen nicht mehr reichen, Entlassungen drohen. Mit zunehmender Verzweiflung, vor allem aber Traurigkeit, versucht Nadine das Gefühl wiederaufleben zu lassen, wegen dem sie sich einst in Paul verliebte.

Nicht nur als Rind und Kind, auch als ältere Frau sieht man Paul bisweilen, aber nicht zu oft. Es genügt, dass Michael Fetter Nathansky diese Idee zu Beginn andeutet, um zu verstehen worum es geht: Um den subjektiven Blick auf andere Menschen, der oft eine andere Dimension offenbart, als sie ein Unbeteiligter, emotional nicht involvierter haben würde. Man kennt dieses Konzept etwa aus dem Film „Schwer verliebt“ von den Farrelly-Brüdern, in denen ein Mann nur die innere Schönheit von Frauen wahrnahm, während sie Äußerlich nicht den konventionellen Schönheitsidealen entsprachen. Auch Birgit Möller spielte letztes Jahr in „Franky Five Star“ mit der Darstellung unterschiedlicher Persönlichkeiten, die unterschiedliche Aspekte ihrer Hauptfigur repräsentierten.

So ein extremes Konzept funktioniert dann am besten, wenn es nicht Selbstzweck ist, sondern nur Mittel, um einen Einblick in die Emotionen der Figuren zu bekommen. Und das ist bei Michael Fetter Nathanskys „Alle die du bist“ der Fall, erst der zweite Film, den der 31jährige Regisseur gedreht hat. Und wie schon in seinem Debüt „Sag du es mir“, in dem er eine Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven erzählte, spielt Fetter Nathansky auch hier mit Erzählformen, die aber stets im Dienst der Figuren stehen.

Immer wieder schneidet er zwischen der Gegenwart, in der die Beziehung zwischen Nadine und Paul an ihr Ende gekommen zu sein scheint und der Vergangenheit, als das Paar sich kennenlernte, hin und her, markiert durch einen leichten Wechsel des Bildformates. Der Beginn und das mögliche Ende der Beziehung stehen also nebeneinander, der sich verändernde Blick, mit dem Nadine Paul betrachtet, wird so unmittelbar deutlich. Und ganz nebenbei wird in „Alle die du bist“ auch noch die Welt der Arbeiterklasse sichtbar, wird eine Welt jenseits der bürgerlichen Existenz sichtbar. Auch das ein Grund, warum Michael Fetter Nathansky zu den interessantesten jungen deutschen Regisseuren zählt, die sich trauen, inhaltlich und stilistisch neue, ungewöhnliche Wege zu gehen.

 

Michael Meyns