Alles ist gutgegangen

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Untätigkeit kann man François Ozon sicher nicht vorwerfen. Nach seiner bittersüßen Romanadaption „Sommer 85“, die bereits 2020 ihre Weltpremiere feierte, hierzulande aber erst im Juli 2021 in die Kinos kam, erscheint nun, etwas mehr als ein halbes Jahr später, die nächste Arbeit des französischen Autorenfilmers. Erneut greift er dabei auf eine Buchvorlage zurück. „Alles ist gutgegangen“ basiert auf den unter gleichem Namen veröffentlichten Erinnerungen der 2017 verstorbenen Schriftstellerin Emmanuèle Bernheim, die Ozon bei den Skripts zu seinen Werken „Unter dem Sand“, „Swimming Pool“, „5x2 – Fünf mal zwei“ und „Ricky – Wunder geschehen“ unterstützte. Der prominent besetzte Film packt mit der aktiven Sterbehilfe ein nach wie vor kontrovers diskutiertes Thema an. Manchmal lässt er einen allerdings seltsam kalt.

Website: https://www.wildbunch-germany.de/movie/alles-ist-gutgegangen

Tout s’est bien passé
Frankreich, Belgien 2021
Regisseur: François Ozon
Drehbuch: François Ozon nach dem Buch von Emmanuèle Bernheim
Darsteller: Sophie Marceau, André Dussollier, Géraldine Pailhas, Charlotte Rampling, Éric Caravaca, Hanna Schygulla, Grégory Gadebois, Judith Magre u. a.
Länge: 114 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Verleih/Vertrieb: Wild Bunch Germany
Kinostart: 14.04.2022

FILMKRITIK:

Die Autorin Emmanuèle Bernheim (Sophie Marceau) steht mit beiden Beinen fest im Leben. Doch dann erhält sie einen Anruf, der ihre Welt ins Wanken bringt. Ihr Vater André (André Dussollier) hat einen Schlaganfall erlitten und liegt im Krankenhaus. Gemeinsam mit ihrer Schwester Pascale (Géraldine Pailhas) versucht sie, den alten Mann wieder aufzubauen. Die drohenden Beeinträchtigungen und die Angst, nicht mehr allein klarzukommen, drücken aber kräftig auf die Stimmung des Industriellen und leidenschaftlichen Kunstsammlers. War er bislang stets ein Macher, scheint er fortan immer auf seine Umwelt angewiesen zu sein. Obwohl sich nach einer Verlegung erste Fortschritte einstellen, wendet sich André mit einer brisanten Bitte an seine Lieblingstochter Emmanuèle: Er will sterben, und sie soll ihm dabei helfen – was in Frankreich allerdings verboten ist.

Darf man einem nahestehenden Menschen eine solche Bürde auflasten? Oder umgekehrt: Kann man jemandem, den man aufrichtig liebt, einen solchen Wunsch guten Gewissens abschlagen? Diese beiden Fragen schweben ständig über dem Film und animieren den Zuschauer, seine eigene Haltung zu prüfen. André eine Abfuhr zu erteilen, sei grundsätzlich unmöglich, heißt er mehrfach. Und doch fällt es Emmanuèle schwer, seinem Drängen sofort nachzugeben. Dass er den Wunsch an sie herangetragen habe, sei Ausdruck von tiefer Verbundenheit, gleichzeitig aber irgendwie auch pervers, sagt sie an einer Stelle im Gespräch mit ihrem Partner Serge (Éric Caracava) – und bringt damit ihre Zerrissenheit auf den Punkt.

Schon früh deutet François Ozon an, dass die Beziehung zwischen der Schriftstellerin und ihrem Vater trotz aller Wertschätzung nicht unbelastet ist. Ein interessanter Baustein, den der sonst so virtuos zwischen verschiedenen Zeitebenen wechselnde Filmemacher hier jedoch in wenigen, nicht sehr elegant eingebauten Holzhammerrückblenden etabliert. Dass André mit der jungen Emmanuèle nicht gerade sehr feinfühlig umgegangen ist, wird ersichtlich. Warum sie sich deshalb damals gleich seinen Tod gewünscht hat, wie sie offen zugibt und wie eine imaginierte Szene unterstreicht, bleibt aber nebulös.

Sophie Marceau und André Dussollier sorgen mit kleinen Gesten und bedeutungsvollen Blicken dafür, dass die widersprüchlichen Emotionen in den Begegnungen von Tochter und Vater zum Vorschein kommen. „Alles ist gutgegangen“ hat durchaus seine schmerzhaft-ehrlichen, berührenden Momente. Oft spürt man allerdings eine Distanz zum Geschehen, die angesichts der aufwühlenden Sterbehilfethematik verwundert. Das Ringen Emmanuèles hätte man stärker herausarbeiten können. Ozon entscheidet sich aber dafür, diverse andere Gedanken und Sujets anzureißen, die für sich genommen spannend sind, den Film aber in geballter Form überfrachtet wirken lassen.

Emmanuèles Mutter Claude (in einer Kleinrolle verschenkt: Charlotte Rampling) leidet schon lange an Depressionen, sieht die Welt in Grautönen – so illustriert es ein ebenfalls arg plakativer einzelner Flashback. Erwähnung findet in ein paar Nebensätzen der Schrecken des Holocaust, den die jüdische Familie Bernheim am eigenen Leib erfahren hat. Zwischendurch wird die Erkenntnis eingeworfen, dass assistierte Sterbehilfe, wie sie etwa in der Schweiz erlaubt ist, nur wohlhabenden Menschen offensteht. Und regelmäßig spielt auch Andrés Homosexualität eine Rolle. Mal subtil verpackt, mal für grobe Albernheiten herhaltend. „Alles ist gutgegangen“ steckt zweifelsohne voller besprechenswerter Aspekte und erzählt von aufregend-komplexen Familienverhältnissen. Rundum überzeugend kann Ozon seine Einzelteile in diesem Fall jedoch nicht zusammenfügen.

 

Christopher Diekhaus