Mitte der 80er Jahre leitete der schwedische Schauspieler Jan Jönson in einem Gefängnis einen Theaterkurs und ließ Becketts „Warten auf Godot“ aufführen. Schon ein Dokumentarfilm und ein französischer Spielfilm erzählten von diesem Projekt, nun variiert der italienische Regisseur Riccardo Milani in „Alles nur Theater?“ die Geschichte in einer warmherzigen Tragikomödie.
Grazzie Ragazzi
Italien 2023
Regie: Riccardo Milani
Buch: Michele Astori & Riccardo Milani
Darsteller: Antonio Albanese, Fabrizio Bentivoglio, Sonia Bergamasco, Giacomo Ferrara, Andrea Lattanzi
Länge: 117 Minuten
Verleih: Kairos Filmverleih
Kinostart: 22. August 2024
FILMKRITIK:
Mehr schlecht als recht schlägt sich der Schauspieler Antonio (Antonio Albanese) durchs Leben, seit Jahren stand er nicht mehr auf der Bühne, sein Geld verdient er vor allem mit dem synchronisieren von Pornofilmen. Sein Bekannter, der Theaterbesitzer Michele (Fabrizio Bentivoglio) besorgt ihm einen Job: In einem Gefängnis soll Antonio für Insassen einen Theaterkurs geben.
Mehr als gute Presse ist die Aktion für die Gefängnisdirektorin (Sonia Bergamasco) anfangs nicht. Doch nach einem ersten, nur im Gefängnis aufgeführten Stück fängt Antonio Feuer. Er erinnert sich daran, dass er einst selbst in Samuel Becketts legendärem absurden Theaterstück „Warten auf Godot“ auf der Bühne stand. Ein ideales Stück für die Gefangenen, die sich in einer Zwischenwelt befinden. Was sie verbrochen haben bleibt lange offen, wie schwere Jungs wirken Aziz (Giacomo Ferrara) oder Damiano (Andrea Lattanzi) nicht, aber der Schein kann trügen.
So reserviert die Truppe anfangs agiert, schnell finden sie Freude an der Arbeit, die bald Premiere in Rom feiert, mit ungeahnten Folgen: So erfolgreich verläuft die Premiere, dass sich plötzlich Theater in ganz Italien um eine Aufführung bemühen: Die Insassen gehen auf Tournee.
Inzwischen sind Theater- oder sonstige künstlerischen Projekte mit Insassen von Gefängnissen kaum noch etwas Besonderes, Mitte der 80er Jahre sah das noch anders aus. Eine Vorreiterrolle kann man daher dem schwedischen Schauspieler Jan Jönson zuschreiben, der mit Insassen einer schwedischen Haftanstalt „Warten auf Godot“, einen Klassiker des absurden Theaters einstudierte.
2005 drehte die kanadische Regisseurin Mishka Saal einen Dokumentarfilm über das Thema, der auf Deutsch den treffenden Titel „Hinter schwedischen Gardinen“ hatte. Dieser inspirierte den 2020 entstandenen französische Spielfilm „Ein Triumph“, der nun als Vorlage für eine italienische Version des Stoffes dient.
An den Grundzügen der Erzählung hat sich nichts geändert, sie spricht für sich und funktioniert immer noch als Allegorie über die Konfrontation zweier Welten, der eines Schauspielers und Regisseur und einer Gruppe Insassen, einer Konfrontation zwischen der Welt der Kunst und einer Welt, die man mit vielem in Verbindung bringt, aber gewiss nicht mit Formen des künstlerischen Ausdrucks.
Dementsprechend fern ist den Insassen anfangs besonders Beckett, doch gerade die Absurdität des Stückes, die scheinbare Sinnlosigkeit, ermöglicht den Insassen einen Zugang zu einem Theaterstück zu finden, das ihrem Alltag dann doch erstaunlich nahe zu sein scheint. Denn das Leben im Gefängnis ist vom Warten geprägt, von sinnlosen Tätigkeiten, dem Grübeln über die Welt, den eigenen Platz in ihr, der Frage, wie es weitergehen wird. Lose streift Riccardo Milani diese Themen, taucht nicht allzu tief in die Psyche seiner Figuren ein, sondern lässt die Geschichte, die Allegorie für sich sprechen. Das Ergebnis überzeugt als warmherzige Tragikomödie über eine etwas andere Form der Resozialisierung.
Michael Meyns