Almanya – Willkommen in Deutschland

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Das Schicksal der türkischen Einwandererfamilie Yilmaz samt absurden Verwicklungen und kulturellen Differenzen steht im Mittelpunkt der warmherzigen Cultur-Clash Komödie „Almanya – Willkommen in Deutschland“. Das vier Jahrzehnte umspannende Generationenepos beeindruckt durch seinen sensibel authentischen Blick auf die Welt zwischen Okzident und Orient. Stilsicher bieten die Samdereli-Schwestern mit ihrem beschwingten Spielfilmdebüt unterhaltsames Gefühlskino, das humorvoll Brücken zwischen den Kulturen schlägt. Die feine Balance zwischen Tradition und Moderne gelingt den beiden nicht zuletzt aufgrund eigener liebevoller Erinnerungen an persönliche Erlebnisse aus ihrer Herkunftsfamilie.

Webseite: www.almanya-film.de

Deutschland 2010
Regie: Yasemin Samdereli
Darsteller: Vedat Erincin, Fahri Yardim, Lilay Huser, Demet Gül, Rafael Koussouris, Denis Moschitto, Petra Schmidt-Schaller Drehbuch: Yasemin Samdereli und Nesrin Samdereli
Länge: 97 Minuten
Verleih: Concorde Filmverleih
Kinostart: 10. 3. 2011

PRESSESTIMMEN:

Eine höchst unterhaltsame Komödie – und ein Wohlfühlfilm für alle.
Der Tagesspiegel

Der Glücksfall einer deutschen Komödie mit Migrationshintergrund.
DER SPIEGEL

FILMKRITIK:

Deutschland, Anfang der 70er Jahre. „Eine Riesenratte, hier gibt’s Riesenratten“, schreit der kleine Muhamed (Kaan Aydogdu) entsetzt mit Blick aus dem Autofenster. Draußen auf dem Gehsteig führt ein deutscher Mann stolz seinen Dackel spazieren. Für den 8jährigen Jungen, den sein Vater Hüseyin Yilmaz (Fahri Yardim) gerade frisch aus der Türkei nach Alemanya holte, eine Begegnung der seltsamen Art. Auch Mutter Fatma (Demet Gül) macht merkwürdige Erfahrungen in diesem fremden, grauen Land. „Muhh“, blökt der deutsche Lebensmittelhändler freudestrahlend, nachdem sie ihm in Zeichensprache klarmacht, dass sie gerne eine Flasche Milch hätte.

Vierzig Jahre später ist Deutschland längst zur Heimat der Familie Yilmaz geworden. Ihr sechsjähriger Enkel Cenk (Rafael Koussouris) stellt sich als Sohn einer Deutschen (Petra Schmidt-Schaller) und eines Türken (Denis Moschitto) allerdings in der Schule plötzlich die Frage nach seiner Identität. Grund: Bei einem Fußballspiel wählen ihn seine Kameraden weder in die deutsche noch in die türkische Mannschaft. „Wir sind jetzt Deutsche“, verkündet Großmutter Fatma (Lilay Huser) dagegen ihren Kindern und Kindeskindern überraschend bei einer Familienfeier. Großvater Hüseyin freilich verblüfft seinen Clan noch viel mehr. Er hat in der Türkei ein Haus gekauft und will in den Ferien mit allen in die alte Heimat fahren.

Für den kleinen Cenk eine aufregende Nachricht. Denn schließlich liegt hier vielleicht die Antwort auf seine Frage. Seine ältere Cousine, die 22jährige Canan (Aylin Tezel), erzählt ihm deshalb die Geschichte, wie sein Opa als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland kam. Das hilft ihr zu vergessen. Denn eigentlich hat sie momentan ganz andere Probleme. Sie ist schwanger von ihrem britischen Freund, von dem ihre Familie keinen blassen Schimmer hat. Und so wird die Fahrt nach Anatolien auch eine Reise in die Vergangenheit mit vielen Erinnerungen und heiteren Anekdoten. Bis der Familienausflug eine unerwartete Wendung nimmt und sich längst fällige Aussprachen nicht mehr vermeiden lassen.

Die beiden Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli drehten einen sehr persönlichen Einwanderungsfilm aus Sicht der zweiten Generation und stellen damit ein komplexes Bild einer Familie vor, die in Deutschland heimisch und der die Türkei zum Teil fremd geworden ist. Gleichzeitig hinterfragen sie aber auch den Verlust ihrer kulturellen Identität. Für die Kinder, die besser Deutsch als Türkisch sprechen und dies mittlerweile bedauern, zeigt sich erst rückblickend der Mut, der damals nötig war, sich eine Existenz in einer fremden Kultur aufzubauen. Und eines macht ihr Spielfilmdebüt ganz deutlich: die unterschiedlichen Facetten des „Deutsch-Türkisch-Seins“ sind mindestens so zahlreich wie die Mitglieder eines Familienclans.

Und so mangelt es ihrer Saga um eine Immigrantenfamilie nicht an Figuren mit Profil, einem überzeugendem Handlungsbogen und emotionalen Momenten, gleich ob Tragik oder Komik. Die deutsch-türkischen Familiengeschichten präsentiert Regisseurin Yasemin, die bereits die Multi-Kulti-Liebeskomödie „Alles getürkt“ fürs Fernsehen drehte, mit einer wohldosierten Mixtur aus Komödie und Tragödie. Das Werk der beiden Schwestern entfaltet ohne Scheu die kuriosen Seiten dieses west-östlichen Diwans. Die spannende Familienchronik fängt Stimmungen pointiert ein und überzeugt mit ihren Zeitsprüngen durch erzählerische Finesse. Der authentisch wirkenden Inszenierung merkt man den biografischen Background an: Ihre türkischen Eltern sind vor Jahrzehnten als so genannte Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und als Vertreter der zweiten Immigrantengeneration kennen sie den Konflikt, quasi zwischen zwei Kulturen zu stehen, aus eigener Anschauung.

Schon allein die unverbrauchte Spielfreude der Kinderdarsteller macht dieses türkischdeutsche Kinohighlight, das mal zum leisen Schmunzeln und mal zum herzhaften Lachen verführt, sehenswert. Zudem überzeugt das multikulturelle Schauspielensemble, allen voran die 26jährige Aylin Tezel, Tochter eines türkischen Arztes und einer deutschen Kinderkrankenschwester. Etwas in den Hintergrund rückt dagegen leider der sympathische Denis Moschitto, der in dem Kiez-Drama „Chiko“ eine Meisterleistung lieferte. Von dem deutschen Daniel Day-Lewis aus Köln hätte man gern noch etwas mehr gesehen.

Last but not least zeigt der interkulturelle Bilderreigen stellenweise eine gewisse Verwandtschaft mit Fatih Akins gelungener neorealistischen Hommage und deutsch-italienischen Familienchronik „Solino“. Wer sich am Ende freilich immer noch fragt, wohin die Reise bei diesem leichtfüßigen, aber doch gefühlvollen Porträt über Identität und Integration gehen soll, dem gibt ein treffendes Zitat im Abspann Antwort. „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ schrieb der Schweizer Schriftsteller Max Frisch Ende der 60er Jahre, als mit der wirtschaftlichen Rezession erste Ressentiments gegen die Arbeiter aus dem Ausland laut wurden. Und so bleibt nur noch zu hoffen, dass die neue Komödie von den Machern von „Wer früher stirbt ist länger tot“ ebenso viel Erfolg hat.

Luitgard Koch

Eine türkische Großfamilie. Zusammenhalt ist alles.

Hüseyin Yilmaz ist der Großvater, der Patriarch, Fatma die Ehefrau. Dann die Kinder und Enkelkinder. Cana, eine der Enkelinnen, hat ein Problem. Sie erwartet ein Kind – von einem Briten. Wenn es wenigstens von einem Deutschen wäre, sagt Fatma später einmal.

40 Jahre ist es jetzt her, dass Hüseyin als 1 000001. Gastarbeiter nach Deutschland kam. Er wurde aus diesem Grund sogar eingeladen, vor der Bundeskanzlerin zu sprechen.

Hüseyin hat in der Türkei ein Haus gekauft, das man aber eher eine Ruine nennen könnte. Selbst Fatma wusste davon nichts. Der Großvater will, dass die gesamte Großfamilie mit ihm dort in Anatolien einen Urlaub verbringt.

Die Ferienzeit ist gekommen. Canan erzählt während der Reise ihrem kleinen Bruder Cenk wie früher alles war. Inzwischen hat Hüseyin mit seiner Frau die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt und bekommen. Erstaunt stellt Fatma fest, dass die Deutschen ihren an ein Kreuz geschlagenen Gott an die Wand hängen. Hüseyin stellt fest, dass er sich in der Türkei eigentlich nicht mehr wohl fühlt; jetzt ist er einfach Deutscher.

Doch sein Leben geht zu Ende. Im Auto stirbt er. Noch einmal Schwierigkeiten: wegen der „falschen“ Staatsangehörigkeit erschwerter Leichentransport mit Begräbnis. Wenigstens hat Hüseyin zuvor Canan noch Mut zugesprochen. Die Großfamilie wird nicht zuletzt wegen ihr nicht aussterben.

Die Identitätssuche, die Integration, die Deutschkenntnisse, der Zusammenhalt oder das teilweise Auseinanderbrechen der Familie, die Zugehörigkeit zu einem der beiden Staaten, die Sehnsucht nach der nationalen Tradition und deren teilweiser Verlust, das alles – also mit die aktuellsten derzeitigen Themen – wird auf witzige und durchaus lebensnahe Weise mit passender Zusammensetzung des Teams und gutem Spiel vorgeführt.

Eine unterhaltsame und doch etwas tiefer greifende Komödie, die Türken ebenso wie Deutsche angeht.

Thomas Engel