Am grünen Rand der Welt

Zum Vergrößern klicken

Stilsicher inszeniert der ehemalige dänische „Dogma“-Regisseur Thomas Vinterberg den romantisch-viktorianischen Klassiker des englischen Romanciers Thomas Hardy. In seiner werkgetreuen Adaption des leidenschaftlichen Epos, in dessen Mittelpunkt das Schicksal einer unabhängigen Gutsherrin steht, zeigt eine kraftvolle Carey Mulligan als moderne Heldin unverbrauchtes, eindringliches Schauspiel. Gleichzeitig trägt ihr männlicher Hauptdarsteller, der Belgier Mathias Schoenarts, die dramatische Handlung mit bewundernswerter Präsenz und Einfühlungsvermögen durch Höhen und Tiefen. Das emotional packende Melodram besticht nicht zuletzt durch die reizvolle, stimmungsvolle englische Landschaftskulisse. Ein höchst unterhaltsamer Kostümfilm als lässige Romanze mit Emanzipations-Anspruch.

Webseite: www.am-gruenen-rand-der-welt.de

GB 2015
Regie: Thomas Vinterberg
Darsteller: Carey Mulligan, Juno Temple, Matthias Schoenaerts, Tom Sturridge, Michael Sheen
Filmlänge: 119 Minuten
Verleih: Twentieth Century Fox of Germany GmbH
Kinostart neu: 16.7.2015
 

Pressestimmen/Auszeichnungen:

"Mit AM GRÜNEN RAND DER WELT gelingt Vinterberg nicht nur eine bewegende und werkgetreue Literaturverfilmung. Sondern auch ein überzeugendes und starkes Porträt einer ungewöhnlichen, modernen und ungebrochenen Heldin. - Prädikat besonders wertvoll."
FBW

FILMKRITIK:

England in den 1870er Jahren: Die unkonventionelle Bathsheba Everdene (Carey Mulligan) erbt überraschend das Gut ihres Onkels in der südenglischen Grafschaft Dorsethshire. Selbstbewusst genug, nimmt die junge patente Frau die Gutsverwaltung in die eigenen Hände. „Ich werde sie alle zum Staunen bringen“, verspricht sie ihrem Gesinde. Darunter auch dem attraktiven, aber inzwischen mittellosen Schafzüchter Gabriel Oak (Matthias Schoenaerts). Noch vor kurzem hielt er umsonst um ihre Hand an. Damals wollte sie sich unbedingt ihre Unabhängigkeit erhalten. Inzwischen verhindert aber auch der Standesunterschied eine Ehe mit ihm.
 
Schon bald wirbt jedoch der wohlhabende, etwas ältere Gutsbesitzer William Boldwood (Michael Sheen) um ihre Gunst. Seine Ambitionen verursachte Bathsheba eher unfreiwillig. Zusammen mit ihrer lebenslustigen Dienerin schickte sie ihm eine Valentinskarte versehen mit einem roten Siegel und der Aufschrift „Marry me“. Boldwood erkennt den Scherz nicht und macht ihr tatsächlich einen Heiratsantrag. Doch auch er hat keine Chance. Als jedoch der verwegene Offizier Frank Troy (Tom Sturridge) auftaucht, fängt die sonst eher vernünftige Frau Feuer. Rückhaltslos bewundert sie seine Fechtkünste.
 
Sie schlägt alle gutgemeinten Ratschläge in den Wind und heiratet den Blender. Schon während ihrer Hochzeitsfeier muss sie erleben, dass ihr Ehemann, ein unbedachter Spieler, sich für die Landarbeit zu schade ist. Während draußen ein Unwetter tobt hat er nichts anderes im Sinn als sich mit ihren Arbeitern zu betrinken. Nur Gabriel kümmert sich um die bereits eingefahrene Ernte. Bald findet die willensstarke Schöne zudem heraus, dass ihr Ehemann bereits mit ihrer ehemaligen Magd Fanny Robin (Juno Temple) verlobt war. Und als Fanny ein Kind von ihm bekommt und stirbt, scheint ihre Welt aus den Fugen zu geraten
 
Hardys Klassiker erzählt, wie die Romane des Schweizers Jeremias Gotthelf, von einer ländlichen Gemeinschaft, die der Rhythmus der Jahreszeiten prägt. Bewusst nutzt Kamerafrau Charlotte Bruus Christensen diese Nähe zur Natur. Streckenweise gelingen ihr Einstellungen, die fast an das von Pieter Bruegel dem Älteren begründete Bauerngenre mit seinen farbenfrohen ländlichen Alltagsbildern des Landlebens erinnern. Endlos ziehen sich gelbe Getreidefelder bis an den Horizont, füllen die Leinwand. Poetische, stimmungsvolle südenglischen Landschaftsaufnahmen von Heide und Meer, Felsenklippen, Wolken und Wind betören.
 
Zudem sind Hardys Romane beinahe wie Drehbücher geschrieben. Sie weisen, was Literaturwissenschaftler immer wieder in Erstaunen versetzt, ein nahezu filmisches Denken auf. So etwa die Szene, in der Troy die völlig gebannte Bathsheba auf einer Lichtung im Wald mit seinen Säbelkünsten beeindruckt. In suggestiven Bildern fängt die Kamera das Glitzern der messerscharfen Klinge und seinen Effekt auf die junge Frau ein. Kraftvoll verkörpert Carey Mulligan Hardys moderne ländliche Heldin, die sich über die viktorianisch puritanische Moral hinwegsetzt.
 
Weil sie mit Kulleraugen und Stupsnase das Kindchenschema so perfekt erfüllte, spielte die 29jährige Londonerin mit blondem Pixie-Schnitt lange Zeit die Rolle der Kleinen, der Tochter, der jungen Geliebten. Den Durchbruch schaffte sie in dem Jugenddrama „An Education“. Mittlerweile hat die smarte Tochter eines englischen Hotelmanagers und einer walisischen Collegedozentin mit Bravour ihre Reifeprüfung abgelegt. Rasant ist sie in Hollywoods erster Liga angekommen. Ihr eindringlicher Blick und ihre natürliche Eleganz erinnern viele an Audrey Hepburn. Geliebt für ihr unverbrauchtes Schauspiel und ihr Auftreten fernab von jeglicher Koketterie, beweist sie erneut, dass sie die Fähigkeit besitzt, leidenschaftlich in ihre Rolle einzutauchen.
 
„Ich mag nicht vorsichtig sein“, sagt Matthias Schoenaerts, „ das ist langweilig“. Vor der Kamera möchte der 39jährige Belgier so instinktiv  wie möglich agieren. Seine enorm starke Leinwandpräsenz gibt seiner Maxime recht. „Ich möchte schauspielern wie Jackson Pollock malt“, verrät der Jazzliebhaber, der in dem US-Remake des Thrillers „The Loft“ als irrlichternder, kokainschnupfender Psychopath Filip seine Konkurrenten locker an die Wand spielte. Und auch als bodenständiger Schafzüchter machte er in dem opulenten Liebesfilm die beste Figur. Manchen gilt der Sohn eines Schauspielers aus Antwerpen bereits als belgischer Marlon Brando. Sein Vorbild: Daniel Day Lewis.
 
Die Adaption des ehemaligen „Dogma“-Regisseur Thomas Vinterberg zeigt, was den Reiz des viktorianischen Liebes- und Schicksalsdramas auch heute noch ausmacht. Der 45jährige Däne inszeniert sein kunstvoll durchkomponiertes Filmgemälde keineswegs als verstaubtes Kostümdrama sondern als zeitloses Stück über das Streben nach persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung. Zudem ist seiner Titelheldin, trotz aller Wirren, am Ende ein freundliches Schicksal gegönnt.

Luitgard Koch

Das dänische Wunderkind Thomas Vinterberg, einst erfand er zusammen mit Lars von Trier das "Dogma"-Manifest, überrascht einmal mehr mit einem Genre-Wechsel. 50 Jahre nach John Schlesinger adaptiert er den Klassiker von Thomas Hardy. Im England des 19.ten Jahrhunderts betreibt die ebenso hübsche wie resolute Bathsheba den frisch geerbten Gutshof. Gleich drei Männer machen ihr den Hof. Die selbstbewusste Lady gibt sich freilich wählerisch. Visuell einfallsreich, vergnüglich dialogstark sowie mit einem exquisitem Ensemble beweist der Däne eindrucksvoll, das Kostümfilme längst nicht verstaubt ausfallen müssen, sondern als lässige Romanze mit Emanzipations-Anspruch höchst unterhaltsam funktionieren.

„Ich will kein Besitz sein. Ich bin unabhängig“, so schmettert Bathsheba Everdene (Carey Mulligan) den spontanen Heiratsantrag des schwer verliebten Schäfers Gabriel Oak (Matthias Schoenaerts) ab. Der gutherzige und gutaussehende Softie nimmt den Korb schweren Herzens hin. Viel Zeit zum Liebeskummer bleibt ohnehin nicht, denn in finstrer Nacht jagt sein verrückter Hund die gesamte Schafherde von Gabriel über eine Klippe. Der ruinierte Schäfer packt sein Bündel, das Schicksal freilich will es, dass er einige Zeit später just in jenem Gutshof anheuern wird, den Bathsheba überraschend geerbt hat. Er rettet das Gehöft mutig vor den Flammen, die Liebe in seinem Herzen lodert freilich weiterhin. Mehr als einen „ziemlich-beste-Freunde“-Status will Bathsheba dem Verehrer nicht gönnen. Auch der reiche Nachbar William Boldwood (Michael Sheen), ein wahrer Gentlemen, scheitert grandios bei seinen schüchternen Flirt-Versuchen. Mehr Glück hat derweil der dritte Kandidat, der schneidige Offizier Frank Troy (Tom Sturridge). Bei diesem Macho schmilzt die eiserne Lady gar schnell dahin: Halb zog er sie, halb sank sie nieder. Der flotten Verführung im Wäldchen folgt alsbald der Traualtar. Schon auf der Hochzeitsfeier indes entpuppt der Gatte sich als trinkfreudiger Wüterich - derweil der wackere Schäfer im tobenden Gewitter allein die gesamte Ernte rettet. So langsam dämmert Bathsheba ihr Pech in der Liebe. Die Gerüchte um eine schwangere Freundin des garstigen Gemahls, machen die Sache nicht besser – ganz im Gegenteil. Bald werden die (melo)dramatischen Ereignisse sich überschlagen und so manche Opfer fordern.
 
Noch’n Kostümfilm? Der nächste Herz-Schmerz-Historien--Schmachtfetzen? Stimmt schon. Aber eben durchaus noch weit mehr. Thomas Hardy war ein zeitlos brillanter Erzähler, der einst nicht nur Roman Polanski für eine Adaption von „Tess“ begeisterte, sondern auch John Schlesinger, der anno 1967 „Am grünen Rand der Welt“ mit Julie Christie verfilmte (hierzulande unter dem Titel „Die Herrin von Thornhill“ erschienen). Eine emanzipierte Heldin zu viktorianischen Zeiten ist allemal einer aktuellen Besichtigung wert. Der dänische Ex-„Dogma“tiker Thomas Vinterberg erweist sich, wie einst in „Das Fest“ oder zuletzt „Die Jagd“, einmal mehr als Meister psychologischer Präzision und stimmiger Figurenaufstellung. Sein Schauspiel-Quartett weiß diese Qualitäten dankbar zu nutzen und läuft zu Bestform auf. Kleine Blicke und verklemmte Gesten geraten, scheinbar mühelos, zu großen Emotionen der unaufdringlichen Art. Einer solch smarten Charme-Offensive dürfte selbst der zynische Zuschauer-Block kaum lange widerstehen.   
 
Visuell präsentiert sich diese Lovestory gleichfalls hochkarätig. Kamerafrau Charlotte Christensen zaubert betörende Breitwand-Tableaus ohne in Kitsch-Postkarten-Ästhetik zu verfallen. Fast wie im Horrorfilm gelingt jene gespenstische Sequenz, in der die Schafe vom besessenen Hund über die nächtlichen Klippen in den Tod gejagt werden – man mag sich lieber nicht vorstellen, wie solch eine Szene zu Vinterbergs alten „Dogma“-Zeiten ausgefallen wären.

Dieter Oßwald