Von einem Schwarzen, der nach Europa kommt, manch Freundlichkeit, vor allem aber mal mehr, meist weniger versteckte Vorurteile erlebt, erzählt Markus Schleinzer in seinem Film „Angelo.“ Schauplatz ist jedoch nicht die Gegenwart, sondern der Wiener Hof im 18. Jahrhundert, wo sich eine Geschichte abspielte, die Schleinzer in kühl beobachtenden Bildern erzählt und als Spiegel der Gegenwart anbietet.
Webseite: grandfilm.de/angelo/
Österreich 2018
Regie: Markus Schleinzer
Buch: Markus Schleinzer & Alexander Brom
Darsteller: Ange Samuel Koffi D'Auila, Kenny Nzogang, Ryan Nzogang, Makita Samba, Jean-Baptiste Tiémélé, Alba Rohrwacher, Christian Friedel
Länge: 111 Minuten
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 28. November 2019
FILMKRITIK:
Um 1721 ist er geboren, vermutlich im heutigen Norden Nigerias: Der Sklave, der als Kind von einer Gräfin am Wiener Hof gekauft und auf den Namen Angelo getauft wurde. Als Kuriosität begann das Leben des Jungen, der als „Hofmohr“ zu einiger Berühmtheit kam, von seiner Ersatz-Mutter bzw. Besitzerin mit einer westlichen Erziehung bedacht, aber nur oberflächlich ein Teil der Familie.
Am Hof redet man eher über als mit ihm, führt ihn vor, ist zwar fasziniert von seiner Andersartigkeit, vergisst aber nie, dass Angelo doch ein Fremder ist und bleibt. Besonders als er in einem Akt der Selbstbestimmung eine Hofdame heiratet, kommen die Vorurteile zu tragen und Angelo verliert kurzzeitig seine Privilegien.
In drei Kapiteln erzählt Markus Schleinzer Angelos Geschichte, der in den verschiedenen Altersstufen von den fünf Schauspielern Ange Samuel Koffi D'Auila, Kenny Nzogang, Ryan Nzogang, Makita Samba und Jean-Baptiste Tiémélé verkörpert wird. Deren Spiel die allermeiste Zeit von größter Passivität geprägt ist: Wie eine Puppe wirkt Angelo meist, wie ein Spielzeug der jüngeren und älteren Mitglieder des Hofes.
Und auch der Blick, den Schleinzer auf das Treiben wirft, ist von größer Passivität und Künstlichkeit geprägt. Komplett in starren Einstellungen und im fast quadratischen 4:3-Format gefilmt, beobachtet Schleinzer das bizarre Treiben in einer fast schon typisch österreichischen Manier, so wie es auch seine Landsleute Michael Haneke oder Uli Seidl tun.
Wie in einem Guckkasten wirken die Geschehnisse, wie eine längst vergangene Zeit, wären da nicht immer wieder kleine Marker, die die geschlossene Welt aufbrechen würden und eine Verbindung mit der Gegenwart erzeugen würden. In einem kahlen Raum, in dem die Sklaven begutachtet werden und viel später der Leichnam Angelos präpariert wird, sind moderne Stahlträger zu erkennen, die eine Brücke über die Jahrhunderte schlagen und die unterschwelligen Intentionen Schleinzers andeuten.
Der Blick auf das Fremde, das vermeintlich Andere, das Exotische wird hinterfragt, ganz besonders extrem durch das Schicksal, dass Angelo nach seinem Tod erlitt: Er wurde seziert, seine Haut präpariert und zu einem lebensgroßen Modell umfunktioniert, dass im Kaiserlichen Naturalienkabinett ausgestellt wurde. Jahre später verbrannten die Überreste Angelos, allein eine Totenmaske existiert noch.
Man mag in „Angelo“ eine Weiterführung von Schleinzers umstrittenem Debüt „Michael“ sehen: In ähnlich kühler, distanzierter Manier wurde dort das Leben eines Mannes erzählt, der im Keller seines Hauses ein Kind gefangen hält und es missbraucht. Hier wie dort steht die Passivität des Kindes im Vordergrund, das diesmal sogar von der ganzen (Hof-) Gesellschaft als Spielball benutzt wird und das auch weit über die Kindheit hinaus. Doch dieser Bezug zwischen den beiden Filmen bleibt ebenso nur angedeutet, wie die Bezüge zur Gegenwart, zur Behandlung von und dem Umgang mit Migranten und Flüchtlingen. Leicht macht es Schleinzer mit seinem distanzierten, betont kalten Blick nicht, „Angelo“ ist alles andere als ein klassisch biographischer Film, der angesichts der außerordentlichen Geschichte Angelos auch denkbar gewesen wäre. Doch die formale Brillanz und die klugen Bezüge zur Gegenwart machen „Angelo“ zu einem umso bemerkenswerteren Film.
Michael Meyns