Was bleibt vom Stein unserer Zeit, was von den Bauwerken, was von unserer Zivilisation? Fragen, die sich ergeben, wenn man die Ruinen der Antike betrachtet, Bauwerke, die vom Zahn der Zeit geschleift wurden, aber noch immer stehen – Tausende Jahre später. Und heutige Wolkenkratzer? Haben eine Lebensdauer von 40 Jahren. Die moderne Welt ist eine Vergängliche.
Website: https://www.neuevisionen.de/de/filme/architecton-148
Architecton
Deutschland / Frankreich 2024
Regie: Victor Kossakovsky
Buch: Victor Kossakovsky
Darsteller: Michele De Lucchi
Länge: 94 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 3. Oktober 2024
FILMKRITIK:
Der russische Dokumentarfilme Victor Kossakovsky („Gunda“) ist alles andere als konventionell. Er beginnt still, untermalt nur von Musik, und das über Minuten hinweg, während man einen Mann vor einem Bauwerk, und dann den Fels der Berge sieht – als er bröckelt, ist das Geräusch ohrenbetäubend, weil man als Zuschauer bereits auf die Stille des Films eingestellt ist.
Kossakovsky folgt dem Architekten Michele De Lucchi, einem Idealisten, der das Schöne seiner Profession zu schätzen weiß, aber daran verzweifelt, dass er immer mehr angehalten wird, seelenlose Betonklötze zu entwerfen. Bauten, die die Zeit nicht überdauern, die damit nicht nachhaltig sind, die von einer Welt zeugen, in der am Ende alles weggeworfen wird. Lieber würde er schöne Gebäude bauen. Solche, die Bestand haben – wie die Ruinen der Antike.
Erst nach 18 Minuten wird das erste Wort gesprochen. Bis dahin überzeugt der Film vor allem mit seiner Bildgewalt. Eigentlich zeigt Kossakovsky nicht viel, das aber mit erstaunlicher Wirkmacht. Der Regisseur zeigt einen desillusionierten Künstler, der noch nicht aufgegeben hat, für eine andere Art des Bauens einzutreten, auch wenn er immer mehr auf verlorenem Posten steht. Zugleich befasst sich Kossakovsky mit dem Lebenszyklus von Steinen, beginnt in der Natur, zeigt ihn in der Verarbeitung und am Ende auch bei der Entsorgung. Die Bildnisse der Moderne, sie sind vergänglicher als die Menschen, die sie gebaut haben. Der Traum von Schönheit ist einem Streben nach Nutzwert gewichen. Gebäude sollen funktional sein, aber De Lucchi träumt von echter Raumkunst.
„Architecton“, der seine Weltpremiere im Offiziellen Wettbewerb der Berlinale gab und beim 34. Internationalen Filmfest Emden-Norderney mit dem Creative Energy Filmpreis ausgezeichnet wurde, ist ein eindringlicher Film, der die beständige Macht des Steins der unerbittlichen Bearbeitung durch den Menschen gegenüberstellt. Manchmal in Schwarzweiß gehalten, dann wieder Farbe, taucht Kossakovsky ein in eine Welt, die vergänglicher denn je ist. Was wird bleiben, wenn künftige Generationen auf die Werke ihre Ahnen blicken? Wird es überhaupt noch welche zu entdecken geben oder hat der Mensch das Überdauern der Zeit dem schnöden Profit geopfert? Der Film stellt Fragen, ohne Antworten zu liefern, er ist dabei so einnehmend schön – in perfekter Symbiose aus Bild und Klang –, dass man gar nicht anders kann, als die Gedanken schweifen zu lassen. Wohin sie führen, muss ein jeder für sich selbst entdecken.
Peter Osteried