Auf alles, was uns glücklich macht

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Ein Film, so richtig zum Träumen! Gabriele Muccino erzählt von Freundschaft, Liebe, Hoffnung, Schuld und Sehnsucht, also vom Leben an sich. Seine Hauptpersonen sind vier ganz normale Menschen, die er über einen Zeitraum von beinahe 40 Jahren auf ihrer Suche nach dem Glück begleitet. Gabriele Muccino (“Ein letzter Kuss”, “Väter und Töchter”) ist ein wunderbar liebenswertes Filmepos gelungen, noch dazu mit einem hinreißenden Soundtrack – alles in der großen Tradition des italienischen Erzählkinos.

Website:: https://prokino.de

Originaltitel: Gli anni più belli
Italien 2020
Regie: Gabriele Muccino
Drehbuch: Gabriele Muccino, Paolo Costella
Darsteller: Pierfrancesco Favino, Micaela Ramazzotti, Kim Rossi Stuart, Claudio Santamaria
Länge: 129 Minuten
Verleih: Prokino Filmverleih GmbH
Kinostart: 14.10.2021

FILMKRITIK:

1982 geht es los mit der Freundschaft von Giulio, Riccardo und Paolo: Die drei Jungs aus Rom sind ungefähr im gleichen Alter und kennen sich (noch) nicht. Sie tanzen in einer Disco, während draußen eine Demo stattfindet, bei der sich schwer bewaffnete Polizisten und gewaltbereite Demonstranten gegenüberstehen. Neugierig rennen die Jungs hinaus und geraten zwischen die Fronten. Dabei wird Riccardo angeschossen und schwer verletzt. Giulio und Paolo retten ihn und bringen ihn ins Krankenhaus. Kaum geht es Riccardo besser, werden die Drei zu unzertrennlichen Freunden. Gemeinsam kaufen sie einen alten Sportwagen, einen 450er Mercedes, den sie in aufwändiger Arbeit aufbauen und mit dem sie bald die Straßen Roms einschließlich der Strände Ostias unsicher machen. Inzwischen gehört auch Gemma zur Clique, eine freche Göre, die jeden Spaß mitmacht und mit ihrem Charme alle bezaubert. Für Paolo wird sie die erste große Liebe, bis Gemma überraschend nach Neapel umziehen muss.

Das Leben treibt die vier auseinander und bringt sie aber auch immer wieder zusammen. Ehen werden geschlossen, Kinder werden geboren und wachsen auf, man liebt und trennt sich. Freundschaften werden gekündigt und wieder aktiviert – Gabriele Muccino zeigt das Leben in all seinen schönen und schrecklichen Facetten. Sein Epos über die Freundschaft ist eine bezaubernde Dramödie auf Italienisch. Muccinos Hauptpersonen sind alles andere als glattpolierte Helden, im Gegenteil: Jeder der Vier hat Schwächen und Mängel, sogar ziemlich heftige, ein Fehler folgt dem nächsten, wobei Gemma in ihrer jahrzehntelangen Suche nach Liebe und Verständnis ihre Defekte am offensivsten zeigt.

Vieles an diesem Film ist anrührend – aber niemals schmalzig – und von der ersten bis zur letzten Sekunde liebenswert. Es wird gelacht und geweint, geliebt und gelebt. Manches, was passiert, ist dramatisch, manches lustig oder traurig, und ab und an hat man das Gefühl, man müsse diesen entzückend unvollkommenen Menschen ein „Bitte tu’s nicht!“ zurufen. Gemma, Giulio, Riccardo und Paolo sind realistische Charaktere, die man nicht nur kennen-, sondern auch lieben lernt. Vieles von dem, was ihnen zustößt und was sie selbst verbaseln, wird nicht nur den Älteren im Publikum bekannt vorkommen. Die Um- und Irrwege, so Gemmas wechselnde Lover oder Riccardos Versuche, beim Film Geld zu verdienen, sind dabei genauso spannend wie die scheinbar geradlinigen Entwicklungen, die dann doch von diversen kleinen und großen Katastrophen unterbrochen werden.

Es macht einfach Spaß, dabei zuzusehen, wie sich Paolo über die Jahre als Lehrer weiterentwickelt und darin (scheinbar?) seine Erfüllung findet. Und es ist bitter zu beobachten, wie sich der karrieresüchtige Paolo immer mehr von seinen Freunden entfernt. Tragische und wunderschöne Erlebnisse wechseln sich miteinander ab wie im echten Leben. Aber hier geht es etwas italienischer zu als beim mitteleuropäischen Durchschnittsmenschen, also immer mit einer kleinen Extra-Portion Drama, Liebe, Humor und alltäglichem Irrsinn. Dabei hat der Film auch seine leisen Momente, die mindestens genauso schön und wirkungsvoll sind wie alles andere.

Mit großartigen Bildern aus Rom, einschließlich eines neu interpretierten Bades in der Fontana di Trevi, und mit kräftigen Farben sorgt Eloi Molí für eine wunderbare Stimmung, irgendwo zwischen liebenswerter Nostalgie und Melancholie, unterstützt von dem grandiosen Soundtrack (Musik: Nicola Piovani), aus dem der Titelsong „Gli anni più belli“, interpretiert von Claudio Baglioni, noch einmal herausragt. Die Beteiligten erzählen selbst die ganze Geschichte, und sie sprechen ab und an in die Kamera, was nicht nur pfiffig, sondern auch witzig ist. Ebenfalls sinnvoll und klug durchdacht ist die Verbindung historischer Ereignisse mit privaten Erinnerungen – Giulio besteht zum Beispiel am Tag des Mauerfalls sein Anwaltsexamen. Da fällt es kaum auf, dass die Darsteller manchmal nicht ganz glaubwürdig altern. Aber möglicherweise macht dieser winzige Makel die Geschichte sogar noch ein bisschen charmanter.

Die wunderbare Wirkung des Films wird auch durch eine schauspielerisch runde Gemeinschaftsleistung begründet. Die Rollen der vier Hauptpersonen sind einmal jung und einmal älter besetzt – und dieses Konzept funktioniert perfekt bis in die kleinsten Gesten. Alle sind mit viel Spielfreude dabei. Gabriele Muccino ist bekannt dafür, dass er sowohl in Italien als auch in den USA dreht – irgendwie scheint er den Spagat zwischen Hollywood und Cinecittá zu schaffen – und er weckt mit seinem Film nicht nur die Zeitgeister der Vergangenheit, sondern er schafft in seiner Hymne an die Freundschaft eine Atmosphäre unbändiger Lebensfreude, die sich sehr schnell auf das Publikum überträgt und für außergewöhnlich gute Laune sorgt.

Gaby Sikorski