Autistic Disco

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Gemeinsam mit seinen Darstellern entwickelte "Hierankl"-Regisseur Hans Steinbichler diesen Film, was trotz einer bisweilen offensichtlich improvisierten Handlung zu einem beeindruckenden Ergebnis führt. Eine Gruppe von sozial auffälligen Jugendlichen soll auf einer abgelegenen Berghütte zu sich selbst finden und damit wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden. Doch die Extremsituation fördert nichtvorgesehene Emotionen zutage, die Steinbichler und seine Mitarbeiter in exzellente Breitwandbilder fassen und mit einem brillanten Sounddesign unterlegen.

Webseite: zorrofilm.de

Deutschland 2007
Regie: Hans Steinbichler
Buch: Melanie Rohde
Darsteller: Benjamin Bieber, Markus Böker, Samia Muriel Chancrin, Anne Grabowski, Andreas Meyer, Nina Mohr, Kirsten Potthoff, Ulrich Rechenbach, Ditte Schupp, Sara Spennemann
82 Minuten, Format: 1:2,35 (Scope)
Verleih: Zorro Film
Kinostart: 9. Oktober 2008

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Mit Filmen wie „Hierankl“ und „Winterreise“ hat sich Hans Steinbichler als einer der interessantesten Regisseure des jüngeren deutschen Kinos etabliert. In beiden spielte mit Josef Bierbichler ein Schauspieler die Hauptrolle, der mit seinem massigen Körper, seinem wuchtigen, bisweilen exzessiven Spiel ein idealer Kontrast zu den flirrenden, farbgesättigten Breitwandbildern war, die allein schon Steinbichlers Filme zu etwas besonderem machen würden. In „Autistic Disco“, einem aus einem Schauspielprojekt hervorgegangenen Film, ist die Last auf viele Schultern verteilt. Etliche der jungen Darsteller geben hier ihr Kinodebüt und meistern die Anforderungen der schwierigen Rollen mit unterschiedlichem Erfolg.

Schauplatz des Films ist eine abgelegene Berghütte irgendwo in den bayerischen Alpen, genauer gesagt die Natur, die sie umgibt, denn die Hütte selbst wird nie betreten und auch sonst kein Innenraum. In jedem Moment stehen die zehn Protagonisten unter freiem Himmel, umgeben von mächtigen Bergwänden und hohen Bäumen, allein in der Natur, auch wenn sie nicht allein sind. Sieben sozial auffällige, namenlose Jugendliche finden sich auf der Hütte ein. Was genau sie gemacht oder erlebt haben wird nur angedeutet. Manche der Mädchen scheinen Selbstmordversuche hinter sich zu haben, ein Junge trägt seine Aggressivität zur Schau, es gibt epileptische Anfälle und Zeichen von Schizophrenie.

Die Gruppenleiterin, vielleicht eine Ärztin, eine engagierte Sozialarbeiterin, bemüht sich, den Jugendlichen Freiheiten zu geben, sie zu einem respektvollen Umgang miteinander zu bewegen, und verzweifelt doch zunehmend an deren autistischem Verhalten. Vor allem die allgegenwärtigen i-Pods werden von den Jugendlichen dazu benutzt, sich in ihre eigene Welt zurückzuziehen, ein eigenes Sounddesign zu erzeugen, dessen Subjektivität der Film auf überzeugende Art deutlich macht. Immer wieder verschwinden die ansonsten ständig präsenten Geräusche der Natur, und mit ihnen die Figuren, in einer Geräuschblase, in der alles Äußere nicht einfach leise ist, sondern regelrecht ausgeblendet. Dann wieder hört man die Songs, die die Jugendlichen auf ihren i-Pods hören, ihre Versuche, sich mit Musik eine heile, hermetische Welt zu kreieren, durch deren Schale nichts und niemand durchkommt. Schon gar nicht die Emotionen anderer, die sich manches Mal in spontanen Gefühlsausbrüchen, in Umarmungen oder Sex entladen, der aber von der jeweiligen Seite völlig unterschiedlich bewertet wird.

Die Vielzahl an Figuren führt zwar bisweilen zu einer etwas sprunghaften Handlung, zur Unterentwicklung mancher Geschichten und Charaktere, die jedoch stets durch die außerordentlichen Bilder zusammengehalten werden. Ohne in Pathos zu verfallen filmen Steinbichler und seine Stammkamerafrau Bella Halben die Natur, lassen die Figuren mal ganz klein erscheinen, um sie dann wieder in ausgefeilten Schärfenebenen anzuordnen, in denen die ganze Breite der Scopeleinwand genutzt wird, wie man es selten sieht. Das allein ein kleines Experiment wie dieser Film unter der Regie von Hans Steinbichler zu einem solch eindrucksvollen Film wird, zeigt, welch großes Talent hier am Werk ist. Man darf gespannt sein, was Steinbichler in den kommenden Jahren noch zeigen wird.
Michael Meyns

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Sieben Jugendliche. Ihre Namen sind kaum bekannt. Sie kommen, heißt es, aus einem Krankenhaus. Also sind sie gesundheitlich angeschlagen. Vor allem seelisch. Ein Mädchen scheint jemanden getötet zu haben, ein junger Mann leidet unter den Folgen eines Unfalls.

Unter der Führung einer Sozialarbeiterin und eines Helfers werden sie im Berchtesgadener Land zu einer Hütte geführt. Sie sollen in dem von Bergen umschlossenen Raum, in der Einsamkeit und in der Stille wieder zu sich finden und nicht zuletzt resozialisiert werden.

Dass dies gelänge, kann man nicht sagen. Die jungen Menschen scheinen zwar eine „Heilung“ zu versuchen, doch meistens irren sie umher, sind, jeder für sich, allein, stoßen an reale oder irreale Grenzen, bringen laut ihre ungestümen Gefühle zum Ausdruck. Manche wirken entfremdet oder verstört. Die Führung durch die Sozialarbeiterin ist nicht stark und entschieden genug. Deshalb ist am Ende sogar der Tod nicht weit.

Hans Steinbichler steht an sich für gute Filme. „Hierankl“ und  „Winterreise“ drehte er in den letzten Jahren. Hier hat er sich im Rahmen eines Sommer-Seminars des Salzburger Mozarteums einem psychologischen filmischen Versuch zur Verfügung gestellt. Es ist ein formal sehr einfaches, ungewöhnliches, befremdendes, nicht leicht zu durchschauendes Experiment ohne innerlich-geistige Schlussfolgerung, zu dessen Kinobesuch man Bereitschaft mitbringen muss.

Thomas Engel