Baby to go

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Was wäre, wenn Frauen Mütter werden könnten, ohne ihren Job aufgeben oder auf ihre Karriere verzichten zu müssen? Und wenn dazu noch alle weiteren Schwierigkeiten der natürlichen Schwangerschaft, etwa die körperlichen Veränderungen, entfallen. Dieses provokative aber spannende Gedankenkonstrukt verwandelt Regisseurin Sophie Barthes in ein dystopisches, von satirischem Humor durchzogenes Sci-Fi-Drama. „Baby to go“ spielt inmitten einer hochtechnisierten Gesellschaft, in der auf maschinelles Lernen ausgerichtete AI das Leben der Menschen bestimmt. Ein sehenswerter Film über die Gefahren einer „perfekten digitalen Reproduktion“ mit Schwächen bei der Charakterentwicklung einiger Figuren.

Belgien, Frankreich, Großbritannien 2023
Regie: Sophie Barthes
Buch: Julie Ghesquiere
Darsteller: Emilia Clarke, Chiwetel Ejiofor, Vinette
Robinson, Rosalie Craig

Länge: 109 Minuten
Verleih: 24 Bilder / Splendid Film
Kinostart: 04.01.24

FILMKRITIK:

In einer nahen Zukunft: Rachel (Emilia Clarke) und Alvy (Chiwetel Ejiofor) bewohnen ein exquisites Apartment in New York und sind sich über ihre Zukunft einig: Sie wollen eine Familie gründen. Als ein begehrter Platz in einem Kinderwunschzentrum frei wird, ergreift Rachel die Chance. Denn dort gibt es die Möglichkeit, unkompliziert und schmerzfrei ein Baby mittels eines technologisch fortschrittlichen Plastikeis („Pod“ genannt) außerhalb des eigenen Körpers auszutragen – inklusive Brutkasten mit digitaler Nabelschnur. Während Rachel, Managerin eines Tech-Konzerns, das Angebot des Geburtszentrums wahrnehmen will, ist Biologe Alvy weniger überzeugt. Er plädiert für eine natürliche Geburt. Am Ende gibt Alvy nach und bald entstehen durch diese neue, moderne Form der Geburt ungeahnte Probleme.

„Baby to go“ entwirft eine ebenso spannende und hochinteressante wie auch beängstigende Vision einer Zukunft, in der KI das Leben und den Alltag der Menschen bestimmt. Oder besser: dominiert und vorgibt. Denn smarte Apparaturen, digitale Assistenten und hochintelligente Programme sind derart fähig und auf eine Art weiterentwickelt, dass sie uns jeglichen Stress und alle (vermeidbaren) Unannehmlichkeiten abnehmen. So gibt es digitale Bäume und künstliche Pflanzen, die eine Fahrt ins Grüne obsolet machen. Und wenn man Bewohner beim Einatmen frischer Luft aus „Natur-Pods“, in denen Pflanzen herangezüchtet werden, sieht, wird deutlich: Der Kampf Technologie vs. Biologie ist in der Welt, die „Baby to go“ präsentiert, bereits entschieden.

Natürlich treibt Regisseurin Sophie Barthes bewusst und satirisch vieles auf die Spitze, aber ohne Übertreibung und Zuspitzung geht es in ihrer Sci-Fi-Dystopie nicht. Schließlich sind gewissermaßen die Vorläufer und ähnliche „technische Hilfsmittel“, wie wir sie in diesem Film sehen, bereits in unserer echten Welt existent. Barthes beweist daher Einfallsreichtum und große Sorgfalt bei der Ausstattung ihrer hyper-futuristischen filmischen Szenerie, wozu vor allem die vielen Tech-Details und kreativen Gadget-Ideen zählen. Zum Beispiel die KI-Therapeutin von Alvy und Rachel, die – mit gestrengem Tonfall – als überdimensioniertes digitales Auge über alles wacht. Und damit alles im Blick hat. Getreu dem Motto: „Big Brother is watching you.“ Eine schöne Anspielung auf die technologische Allmacht und Dauerüberwachungs-Mechanismen durch KI und Co.

Der Grundkonflikt und die Kernfrage des Films lauten, wie weiter oben bereits angedeutet: Löscht die moderne Technologie die Biologie (also die Natur) irgendwann komplett aus? Stellvertretend für diese beiden Welten und Glaubenssysteme stehen Rachel und Alvy. Clarke und Ejiofor machen ihre Sache als Hauptdarsteller gut. Schade ist nur, dass das Drehbuch bisweilen zu vorsichtig und zahm geraten ist. Und die ein oder andere Unglaubwürdigkeit bei der Charakterentwicklung aufweist. So lässt sich der Technik-kritische Naturliebhaber und Verfechter der natürlichen Schwangerschaft, Alvy, viel zu schnell von Rachels Wunsch nach einer „Pod“-Geburt überzeugen.

Im letzten Drittel tritt „Baby to go“ erzählerisch etwas auf der Stelle und es stellen sich Redundanzen ein. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die europäische Koproduktion neben der Technik-Natur-Prämisse noch einige weitere kluge, diskussionswürdige Themen anspricht. Und vielschichtige, gesellschaftlich relevante Fragen aufwirft. Es geht um den Kampf der Geschlechter, die Rolle von Mann und Frau, Kinderwunsch und Fruchtbarkeit sowie die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Karriere bzw. Beruf.

 

Björn Schneider