Auf den Straßen der brasilianischen Metropole Sao Paolo spielt Marcelo Caetanos „Baby“ größtenteils, in den eher verruchten Vierteln der Stadt. Hier lebt der 18jährige Wellington, der sich als Stricher Baby nennt, vom älteren Ronaldo beschützt, ausgenutzt und geliebt wird. Eine klassische, fast schon altmodische schwule Coming-of-Age Geschichte, gefilmt in flirrenden Bildern.
Brasilien/ F/ NL 2024
Regie: Marcelo Caetano
Buch: Marcelo Caetano, Gabriel Domingues
Darsteller: Joao Pedro Mariano, Ricardo Teodoro, Ana Flavia Cavalcanti, Bruna Linzmeyer, Luiz Bertazzo
Länge: 104 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 20. März 2025
FILMKRITIK:
Nach zwei Jahren Jugendhaft wird Wellington (João Pedro Mariano) entlassen und steht vor dem Nichts. Seine Eltern haben die Stadt verlassen, nun liegt es an dem 18jährigen selbst, sich auf den Straßen von Sao Paolo zurechtzufinden.
Der deutlich ältere Ronaldo (Ricardo Teodoro) nimmt sich Wellington an, schickt ihn für sich auf den Strich, gibt ihm aber auch ein Maß an Wärme und Geborgenheit, die Wellington lange nicht gekannt hat.
Als Stricher fällt es Wellington besonders leicht, ältere Kunden zu bekommen, die ihn bald Baby taufen. Zwischen Nähe Zuneigung und Ausbeutung bewegt sich die komplizierte Beziehung zwischen Wellington und Ronaldo, zu dessen erweiterter, bunter Familie Priscila (Ana Flavia Cavalcanti), die Mutter seines Kindes gehört und deren neue Partnerin Jana (Bruna Linzmeyer).
Und dann ist da noch Torres (Luiz Bertazzo), ein Drogendealer, der höher in der Hackordnung steht, als der umtriebige Ronaldo und bald droht, Wellingtons neue Familie zu zerstören.
Autor und Regisseur Marcelo Caetano lebt selbst in Sao Poalo, der größten Stadt Brasiliens, eine Metropole, aber auch ein Moloch. In unmittelbarer Umgebung seiner Wohnung wurde „Baby“ gedreht, Passanten laufen teilweise durchs Bild, das normale Leben findet Eingang in die filmische Erzählung. Ganz bewusst ging es Caetano auch darum, eine Art Zeitkapsel entstehen zu lassen, einen Film über die Subkulturen seiner Stadt zu drehen, auf fast dokumentarische Weise vom Leben der queeren Gemeinschaft zu erzählen.
Andererseits bemüht er sich um große Stilisierung, grellbunt wirken die Bilder oft, die Filme von Wong Kar-Wai nennt Catano als bewusstes Vorbild. Vor allem aber schweift „Baby“ immer wieder von seiner im Kern so dramatischen Handlung ab und entwickelt sich zu einem Musical. Nicht nur in den Clubs wird da gesungen und getanzt, auch auf den Straßen oder den Bussen wird gepost und gevougt.
Manchmal wirkt es zwar so, als würde „Baby“ das Schicksal Wellingtons in allzu rosigen Farben schildern, den Wert der unterschiedlichen neuen Familien, die er nach dem Verlust seiner biologischen findet, überschätzen. Kein düsteres Drama will „Baby“ sein, kein allzu verstörendes Bild der Realität zeigen, sondern stets die Hoffnung mitschwingen lassen. In Momenten mag man das für kitschig halten, doch in der stilisierten, bildgewaltigen Form, die Marcelo Caetano gewählt hat, funktioniert das am Ende als berührender, emotionaler Coming-of-Age-Film.
Michael Meyns