Babycall

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Eine alleinerziehende Mutter lebt in ständiger Angst um ihr einziges Kind. Nach ganz offenbar traumatischen Erlebnissen in ihrer Ehe, der sie entfliehen konnte, versucht sie schließlich einen Neuanfang... Es ist vermutlich der Bekanntheit von „Lisbeth“-Darstellerin Noomi Rapace zu verdanken, dass dieser skandinavische Zwitter aus Psychothriller und Familiendrama überhaupt einen Kinostart erhielt. Letzteres ist durchaus verdient.

Webseite: www.babycall-derfilm.de

Norwegen / Schweden / Deutschland 2011
Regie & Drehbuch: Pål Sletaune
Produktion: Turid Oversveen
Darsteller: Noomi Rapace, Kristoffer Joner, Vetle Qvenild Werring, Henrik Rafaelsen
Laufzeit: 96 Minuten
Verleih: NFP, Vertrieb: Filmwelt
Kinostart: 19.4.2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Auf den ersten Blick scheint die Situation eindeutig. Die alleinerziehende Anna (Noomi Rapace) fühlt sich vor ihrem gewalttätigen Ehemann nicht mehr sicher. Sie verlässt ihn, flieht und sucht fortan ein neues Zuhause. Zusammen mit ihrem achtjährigen Sohn Anders (Vetle Qvenild Werring) erhält sie von den Behörden eine neue Wohnung in einem anonymen Wohnviertel am Rande Oslos. Dort soll sie angeblich sicher sein. Ihr Noch-Ehemann, so wird ihr mehrmals erklärt, habe keine Möglichkeit, an ihre neue Adresse zu gelangen. Doch Anna kann auch das irgendwie nicht beruhigen. Sie lebt in ständiger Angst um Anders, den sie zunächst nicht einmal in einem eigenen Zimmer schlafen oder zur Schule gehen lassen will. Schließlich ist sie fest davon überzeugt, dass sich ihr Sohn in großer Gefahr befindet.

Diese recht thriller-typische Konstellation nimmt der norwegische „Babycall“ zum Ausgangspunkt seiner Beobachtungen einer zunehmend seltsamen Zweierbeziehung. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn fällt augenscheinlich aus dem Rahmen der Normalität. Ob daran allein der lediglich als Phantom in Erscheinung tretende Ehemann Schuld ist, darf bezweifelt werden. Als sich Anna zum Kauf eines Babyfons entschließt, mit dem sie Anders auch nachts ganz nahe sein will, lernt sie im dortigen Elektrogeschäft den zurückhaltenden Verkäufer Helge (Kristoffer Joner) kennen. Allmählich beginnt sich die von Angst beherrschte Mutter, einem anderen Menschen anzuvertrauen. Als sie jedoch die Schreie eines anderen Kindes durch das Babyfon hört, gerät Annas fragile Welt erneut ins Wanken.

Aus dem Drama einer psychisch labilen, eingeschüchterten Frau entwickelt sich ein subtiler Psychothriller, dessen immer stärker zu Tage tretende Genreelemente von Regisseur Pål Sletaune recht geschickt angeordnet und eingesetzt werden. Da wäre beispielsweise die seltsame Begegnung mit einer anderen Mutter und ihrem Kind am nahe gelegenen See, die sich nicht ohne Grund surreal und seltsam anfühlt. Zum Ende hin besitzt „Babycall“ sogar Zutaten eines klassischen Mystery-Horrors, wobei Sletaune es zu keiner Zeit übertreibt. Weder lässt er sich zu einer Steigerung der Handlung ins Absurde hinreißen, noch wird es für den Zuschauer wirklich unangenehm. Es ist mehr ein unterschwelliges Gefühl der Bedrohung und damit verknüpft eine ganz bestimmte Vermutung, welche sich schlussendlich bestätigen soll. Das Überraschungspotenzial von „Babycall“ bleibt letztlich überschaubar und begrenzt.

Dafür besitzt der Film andere Qualitäten. Hauptdarstellerin Noomi Rapace ist eine davon. Wieder einmal spielt sie eine ambivalente, psychisch schwer angeschlagene Figur. Während Lisbeth Salander jedoch die passive Rolle schon bald verlässt und ihren Peinigern selbstbewusst gegenübertritt, fühlt sich Anna immer weiter in die Enge getrieben. Wie ein gehetztes Tier sucht sie nach einem Ausweg. Rapace gibt Annas Verletzlichkeit und Unsicherheit viel Raum. Gleichzeitig lässt sie den Kontrollverlust ihrer Filmfigur, der ganz nebenbei spannende Fragen nach der Erzählperspektive aufwirft (was ist tatsächlich real und was entspringt am Ende nur Annas subjektiver Wahrnehmung?), auf eindringliche Art und Weise nachempfinden. Nicht zu wissen, ob man den Bildern trauen kann und darf, bleibt lange Zeit das eigentliche Rätsel dieses routiniert inszenierten, skandinavischen Psychotrips.

Marcus Wessel

Anna und ihr 8jähriger Sohn Anders sind offenbar von Annas Mann immer wieder schlecht behandelt wenn nicht misshandelt worden. Deshalb müssen die beiden unerkannt, unter geliehenem Namen, in einer Wohnung eines anonymen Mietshauses untertauchen. Das Jugendamt ist eingeschaltet, sorgt sich um Anders’ Wohl.

Anna ist ängstlich, nervös, verschreckt. Sie will Anders nicht einmal zur Schule schicken. Doch Schule ist Pflicht, so das Jugendamt.

Sie lernt Helge kennen, Verkäufer in einem Technikmarkt. Sie kauft ein Babyphon, denn sie will auch nachts jeden Atemzug ihres Sohnes kontrollieren können. Sie hört aus dem Babyphon verdächtige Geräusche aus der Nachbarschaft. Das ist möglich, wenn die Kanäle des Geräts falsch eingestellt sind. Wird da jemandem etwas Schlimmes angetan?

Helge findet die junge Frau sympathisch, möchte näher mit ihr zusammen sein. Doch Anna bleibt verschlossen, wird immer schwerer zugänglich. Nach und nach hat sie Vorstellungen, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben. Immer stärker wird der Wahn. Dazu kommt noch, dass Anders einen Schulfreund mit nach Hause bringt, der mit ihm mysteriöse Verwechslungsspiele betreibt und der vielleicht sogar mit den Geräuschen aus dem Babyphon etwas zu tun hat.

Langsam wird klar, dass Anna schon derart schizophren geworden ist, dass sie alles, was sie zu erleben glaubt, sich nur einbildet. Denn Anders ist offenbar schon längst tot, und ihr Mann hat sich bereits vor Jahren das Leben genommen. Nun hat auch sie keine große Wahl mehr.

Ein reiner, gut inszenierter Kammerspiel-Psychothriller, in dem die Grenzen zwischen Realem und Irrealem total verwischt sind und der ebenso beeindruckt und bedrückt wie er einem sehr lange im Unklaren lässt. Die Erzeugung der seelischen Stimmung und die Machart sind auf jeden Fall gelungen; von der logischen Stringenz allerdings kann man das nicht sagen.

Der Trumpf des Films: Noomi Rapace als Anna. Seit „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ weiß man, welchen Rang sie hat, und hier tritt sie wieder auf mit ausgefeiltem psychologischem Ausdruck, mit der konsequenten Düsterheit, ja Dumpfheit, die die Rolle erfordert. Ihre Darstellung ist ein schauspielerischer Erfolg.

Thomas Engel