Babygirl

Herausfordernde Rollen scheut Nicole Kidman nicht. Das stellte die Oscar-Preisträgerin etwa in Stanley Kubricks letztem Spielfilm „Eyes Wide Shut“ (1999) unter Beweis, der um erotische Fantasien und sexuelle Ausschweifungen kreist und in dem sie mit ihrem damaligen Ehemann Tom Cruise vor der Kamera stand. Erinnerungen an dieses kontrovers diskutierte Drama weckt Halina Reijns neue Regiearbeit „Babygirl“, die in eine ganz ähnliche Richtung geht. Unerfüllte Sehnsüchte treiben die von Kidman gespielte Protagonistin hier in eine Affäre, die ihr Leben aus den Angeln zu heben droht. Das Spiel, das die niederländische Filmemacherin inszeniert, überzeugt nicht in allen Facetten. In bestem Sinne irritierend und unvorhersehbar ist es aber allemal – nicht zuletzt dank einer ungemein präsenten Hauptdarstellerin, die 2024 beim Festival von Venedig für ihre Performance mit der Coppa Volpi ausgezeichnet wurde.

 

Über den Film

Originaltitel

Babygirl

Deutscher Titel

Babygirl

Produktionsland

USA

Filmdauer

114 min

Produktionsjahr

2024

Regisseur

Reijn, Halina

Verleih

Constantin Film Vertriebs GmbH

Starttermin

30.01.2025

 

Auf den ersten Blick gibt es nichts, worüber sich Romy (Kidman) beklagen müsste. Ein toller Job als CEO eines erfolgreichen Unternehmens für Robotertechnik, ein liebevoller Ehemann (Antonio Banderas), zwei Töchter und exklusive Immobilien – ihren Traum scheint sie sich erfüllt zu haben. Doch manchmal trügt die schöne Fassade. Heimliche Sehnsüchte, Wünsche, die sie im Bett mit ihrem Gatten nicht ausleben kann, nagen an der stets topgestylten Geschäftsfrau. Ständig auf Perfektion bedacht, stets um Haltung bemüht, reizt es sie offenbar, einmal aus den vertrauten Bahnen auszubrechen, sich ganz ihren erotischen Fantasien hinzugeben.

Möglich wird das, als Romy im Büro auf den geradezu aggressiv selbstbewussten neuen Praktikanten Samuel (Harris Dickinson) trifft, den sie als Mentorin begleiten soll. Ungeniert macht ihr der deutlich jüngere Mann Avancen, was sie merklich verunsichert. Anstatt eine klare Grenze zu ziehen, lässt sie sich jedoch mehr und mehr auf die Spielchen ein und landet irgendwann mit ihm in einem billigen Hotelzimmer. Der Beginn einer Beziehung, in der sie zunehmend lustvoller den unterwürfigen Part einnimmt.

Romy mag in der Firma in der eindeutig machtvolleren Position sitzen. Ihre Bedenken, sie könne ihre Stellung missbrauchen, wischt Samuel allerdings entschieden beiseite. Ein Anruf genüge, um ihre Existenz zum Einsturz zu bringen, lässt er sie wissen. Regisseurin Halina Reijn, die auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, entwirft ein komplexes, ambivalentes Spiel um Dominanz und Begierde, das trotz offenherziger Sexszenen nie ausbeuterisch daherkommt.

Fragt man sich anfangs eventuell, warum sich Romy auf die Provokationen des Untergebenen einlässt, drängen Kidmans und Dickinsons intensive Darbietungen Zweifel schnell in den Hintergrund. Häufig rückt ihnen die von Jasper Wolf geführte Kamera auf die Pelle, um die Gefühlsnuancen in den Gesichtern einzufangen. Optisch werden Romy und Samuel als Gegenpole gezeichnet: hier die grazile Geschäftsfrau, dort der tätowierte, etwas legere Praktikant mit zerzausten, leicht fettigen Haaren. Wahrscheinlich ist es gerade die etwas wilde, animalische Attitüde, die Romy so anziehend findet. Einen anderen Typ Mann verkörpert schließlich ihr Gatte Jacob, dem Antonio Banderas eine ruhige Ausstrahlung verleiht. Ein bisschen steht der Spanier im Schatten seiner beiden Kollegen. Und doch bekommt auch er seinen großen Moment, in dem er das Innenleben seiner Figur mit enormer Wahrhaftigkeit in den Kinosaal transportieren kann.

Die oben schon angerissene Frage von Macht und Missbrauch diskutiert „Babygirl“ zudem über Romys engagierte und idealistische Mitarbeiterin Esme (Sophie Wilde). Deren Bogen hätte allerdings noch ein wenig Feinschliff vertragen können. Plakative Mittel kommen immer mal wieder zum Einsatz. Beispielsweise, wenn die Regisseurin Samuels Fähigkeit, Kontrolle auszuüben, mit seiner Wirkung auf einen einschüchternden Hund untermauert.

Erfreulich ist wiederum, dass sich der Film ernsthaft mit weiblicher Lust befasst (was selbst heutzutage im Kino nur selten geschieht) und Romy dennoch nicht psychologisch auszudeuten versucht. Einiges bleibt im Vagen, und das ist auch gut so. Denn eben dadurch entstehen Irritationen, die zur untergründig-brodelnden Stimmung beitragen. „Babygirl“ ist, wie die Regisseurin erklärt, von den Erotikthrillern der 1980er- und 1990er-Jahre inspiriert, von Klassikern wie „Eine verhängnisvolle Affäre“ (1987) oder „Basic Instinct“ (1992). Deren dramaturgische Konventionen und Spannungsmechanismen unterläuft Rejin jedoch konsequent. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich vielleicht auch das etwas bequem anmutende Ende positiver einordnen. So oder so sollte man die Schöpferin dieses erfrischend eigenwilligen Erotikdramas genauer im Augen behalten.

 

Christopher Diekhaus

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