Be Water – Voices from Hong Kong

Zum Vergrößern klicken

Deutschland 2023
Regie & Buch: Lia Erbal
Dokumentarfilm

Länge: 92 Minuten
Verleih: Drop-Out Cinema
Kinostart: 7. September 2023

FILMKRITIK:

Als „Umbrella Movement“, als „Regenschirm Bewegung“ wurden die Proteste in Hong Kong 2014 bekannt, zehntausende Menschen auf den Straßen, mit offenen Regenschirmen. Was zum einen dem oft notorisch nassen Wetter in der Metropole geschuldet war, vor allem aber auch dem Versuch, sich dem unbarmherzigen Auge der Überwachungskameras zu entziehen, mit denen der chinesische Staat sehr genau beobachtet, wer da auf den Straßen protestiert.

Seitdem Hong Kong 1997 von der britischen Kolonialmacht an China „zurückgegeben“ wurde, lebte die Sonderverwaltungszone vorgeblich nach dem Motto: Ein Staat, zwei Systeme. 50 Jahre lang sollte Hong Kong sein kapitalistisches System, das es reich gemacht hatte, auch seine eigene Währung, den Hong Kong-Dollar, behalten dürfen, unbehelligt vom mächtigen China.

Die Hoffnung, das sich China an diese Vereinbarung halten würde, war wohl immer nur ein Wunschtraum, wie schnell und unbarmherzig China jedoch versuchen sollte, Hong Kong zu einem Teil des chinesischen Systems zu machen, überraschte dann doch. Immer wieder brandeten Proteste auf, zuletzt eben 2014 und 2019, wovon eindringliche Found Footage-Bilder zeugen, die einen Teil von „Be Water – Voices from Hong Kong“ bilden. Doch der Film von Lia Erbal (der oder die Regisseur*in verwendet ein Pseudonym, was erschreckend deutlich macht, wie groß die Angst vor dem langen Arm Chinas inzwischen schon ist) beschränkt sich nicht darauf, die Proteste in Hong Kong nachzuerzählen.

Weite Teile des Films wurden in Berlin gedreht, wo eine Aktivistin im Exil lebt und von ihren Erfahrungen berichtet. Zum Selbstschutz ist sie nur von hinten zu sehen, was zu eher uninspirierten Bildern führt, in denen man sie minutenlang von hinten durch Berliner Straßen gehen sieht. Interessanter dagegen ihre Berichte über die Proteste, die nicht abreißende Hoffnung auf Wandel, vor allem aber das Verhältnis zu den Eltern und anderen Vertreter älterer Generationen. Diese haben zum Teil auf dem Tiananmen-Platz demonstriert, negieren ihren Protest von einst inzwischen jedoch und verteidigen die brutale Repression der chinesischen Regierung inzwischen oft als notwendiges Übel.

In diesen Momenten erzählt „Be Water – Voices from Hong Kong“ auf differenzierte Weise von einem komplexen Land, zu dem der Westen, die EU, auch Deutschland (noch) nicht wirklich eine klare Haltung entwickelt hat. Besonders deutlich wird dies in einem anderen Strang, der in den Hallen der Brüsseler EU-Bürokratie spielt, besonders im Büro von Reinhard Bütikofer. Dieser sitzt als Vertreter der Grünen im EU-Parlament und bemüht sich redlich um eine schärfere Politik gegenüber China. Doch wenn gleichzeitig große deutsche Konzerne wie VW oder BMW ihre Handelsbeziehungen mit China aus wirtschaftlicher Notwendigkeit vertiefen, verpuffen die Bemühung der EU um Menschenrechte schnell. Zu den eindringlichsten Momenten des vielschichtigen, durch die Breite seiner Ansätze allerdings auch etwas zerfahren wirkenden Films zählen da Bilder des chinesischen EU-Botschafters, der jegliche Kritik an seinem Land mit zunehmend genervter Mine abprallen lässt und stattdessen auf den Erfolg Chinas verweist, hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreit zu haben.

So agitatorisch „Be Water – Voices from Hong Kong“ in Momenten auch wirkt, am Ende überwiegt der Zweifel. Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung Chinas für den Rest der Welt, steht zu befürchten, dass die legitimen Interessen der Bürger Hong Kongs kein Gehör finden werden und am Ende der Riese China den Zwerg Hong Kong vollständig übernehmen wird.

 

Michael Meyns